Denken ohne Geländer. Hannah Arendt

Ein Gottesdienst zum Film
Autorin: Pfarrerin Christiane Thiel, Leipzig Holzhausen
Gottesdienst zu Invokavit. 1. Sonntag in der Passionszeit am 17.02.2013 in Zuckelhausen.
Literaturgottesdienst "Denken ohne Geländer" Druckversion PDF
Übersicht/ Ablauf
Lieder
„Gott ist gegenwärtig“ (EG 165, 1- 3)
„Wo Menschen sich vergessen“ (Singt von Hoffnung, Nr. 120)
„Wo ein Mensch Vertrauen gibt“ (Singt von Hoffnung, Nr. 121)
„Gott ist gegenwärtig“ (EG 165, 3 – 5)
„Wie ein Fest nach langer Trauer“ (Singt von Hoffnung, 117)
„Ich möcht, dass einer mit mir geht“ (EG 209, 1 – 4)
„Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395, 1- 3
Literatur
- Hannah Arendt: Ich will verstehen. Lesung. Gelesen von Margarethe von Trotta. Hamburg: Hoffmann & Campe 2006. 2 CDs (vergriffen)
- Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper 2013. 496 S.
- Hannah Arendt: Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlass. München: Piper 2010. 246 S.
- Hannah Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im persönlichen Denken I. München: Piper 2013. 448 S.
- Günter Gaus: Was bleibt, sind Fragen. Die klassischen Interviews. Hrsg. von Hans-Dieter Schütt. Berlin: Ed. Ost im Verl. Das Neue Berlin 2001. 527 S. (vergriffen)
- Günter Gaus: Die klassischen Interviews: Politik & Kultur 1963-1969. Eisingen: KNM 2005. 3 DVDs.
- Alois Prinz: Hannah Arendt oder die Liebe zur Welt. Aktualis. Neuaufl. Berlin: Insel Verl. 2013. 326 S. ISBN 978-3-458-35872-5.
Ablauf
1. Musik
2. Begrüßung
3. Lied: „Gott ist gegenwärtig“ (EG 165, 1- 3)
4. Liturgie
5. Gebet
6. Lesung aus der Hebräischen Bibel: Gen 3, 1 – 19
7. Lied: „Wo Menschen sich vergessen“ (Singt von Hoffnung, Nr. 120)
8. Biografische Notizen zu Hannah Arendt
9. Lied: „Wo ein Mensch Vertrauen gibt“ (Singt von Hoffnung, Nr. 121)
10. Collage von Zitaten (mit verschiedenen Sprecherinnen)
dazwischen Musik zur Besinnung
11. Lied: „Gott ist gegenwärtig“ EG 165, 3 – 5
12. Verkündigung: Hannah Arendt und der Glauben an Gott
13. Lied: „Wie ein Fest nach langer Trauer“ (Singt von Hoffnung, 117)
14. Ansagen der Gemeinde
15. Dankopfer und Lied: „Ich möcht, dass einer mit mir geht“ (EG 209, 1 – 4)
16. Dankgebet
17. Fürbitten und Vater unser
18. Aussendung und Segen
19. Lied: „Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395, 1- 3)
20. Musik
Begrüßung/Lesung
1. Musik
2. Begrüßung
„Seit Mitte Januar dieses Jahres läuft in den deutschen Kinos ein bemerkenswerter Film: „Hannah Arendt – Ihr Denken veränderte die Welt“. Regie führte Margarete von Trotta. Die Hauptrolle hat Barbara Sukowa übernommen. Das Duo Trotta/Sukowa hat uns schon manchen sehenswerten Film beschert. Denken Sie an „Rosa Luxemburg“, oder „Hildegard von Bingen“. Dieses Mal haben sie sich an eine große Denkerin des 20.Jahrhunderts herangewagt. Dabei ist ein Film entstanden, der einen winzigen Ausschnitt eines sagenhaften Lebens ins Bild setzt. Sehr gelungen! Die Auswahl eines großen und schwerwiegenden Konfliktes im Leben der Denkerin macht es möglich, in ihr Denken, in ihre Art, in ihre sagenhafte Ehrlichkeit in der Auseinandersetzung mit dem Leben „hineinzusehen“. Der Film genügt als Anlass, Hannah Arendt einen Gottesdienst zu widmen und ebenfalls nur einem Ausschnitt ihres Denkens und dessen Widerhall in unserem Glauben und Leben und unserer biblischen Überlieferung nachzugehen. Gott segne uns diesen Gottesdienst, den wir in seinem Namen feiern. Amen.“
3. Lied: „Gott ist gegenwärtig“ (EG 165, 1- 3)
4. Liturgie
5. Gebet:
Guter Gott, wir machen halt und kehren bei dir ein. Hier in deinem Haus suchen wir Schutz und Zuspruch. Hier ruhen wir uns aus und lassen uns ermutigen, unser Leben und unserem Alltag zu leben. Komm zu uns und erfülle uns mit deinem Geist. Sei deinem Versprechen treu, dass du uns lieb hast. Und gib uns Kraft genug, Deine Liebe in die Welt hinauszutragen. Darum bitten wir dich von Herzen. Amen.
6. Lesung aus der Hebräischen Bibel: Gen 3, 1 – 19
7. Lied: „Wo Menschen sich vergessen“ (Singt von Hoffnung, Nr. 120)
Biographisches zu Hannah Arendt
8. Biografische Notizen zu Hannah Arendt
Entweder werden hier Daten und Fakten (manches auch anekdotisch) vorgetragen und/oder es kommen Ausschnitte aus den oben unter „Literatur“ aufgeführten Medien zum Einsatz:
Daten und Fakten zu ihrer Person:
Hannah Arend war das einzige Kind sozialdemokratisch engagierter Eltern, deren Wohnsitz Königsberg war.
Ihr Vater starb, als sie sieben Jahre alt war. Er litt an Syphillis. Entsprechend qualvoll war sein Sterben.
Sie wuchs mit ihrer Mutter auf, die eigenwillig und klug war. (Eine Verehrerin Rosa Luxemburgs.)
Ihre jüdische Herkunft war ihr selbstverständlich. Mit Antisemitismus kam sie als Kind früh in Berührung. Sie war auffällig klug und in der Schule aufmüpfig. Mit 17 Jahren wurde sie wegen eines von ihr angezettelten Schulboykotts des Gymnasiums verwiesen. Ihre Mutter organisierte darauf hin, dass sie in Berlin bei Romano Guardini studieren konnte. Mit 18 Jahren legte sie als Externe ein glänzendes Abitur in Königsberg ab. Danach studierte sie Philosophie, Theologie und Griechisch in Marburg und Heidelberg. Sie promovierte bei Karl Jaspers über den Liebesbegriff von Augustinus. Mit der Machtergreifung der Faschisten beginnt ihre Verfolgung. Sie flieht nach Frankreich und wird dort 1940 in das Internierungslager Gurs gebracht, von wo ihr die Flucht gelingt. Sie entkommt mit ihrem zweiten Mann, Heinrich Blücher, in die USA. Dort lebt sie als Staatenlose, bis sie 1951 die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten erhält. Sie arbeitet als Autorin, Lehrerin und für jüdische Organisationen. Sie nimmt als Reporterin für die Wochenzeitschrift „The New Yorker“ am Eichmannprozess in Jerusalem teil. (Der an ihren Bericht über dieses Ereignis aufflammende Konflikt um ihre Person und ihr Denken ist Gegenstand des Films von Margarthe von Trotta.) Sie wird Professorin in New York. Ihr Werk erfährt Würdigung. 1970 stirbt ihr Mann. 1975 stirbt sie selbst.
Ihre bedeutendsten Werke sind:
- Rahel Varnhagen. Eine biografische Recherche. (1930)
- Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft (1955)
- Eichmann in Jerusalem. Bericht von der Banalität des Bösen. (1963)
- Vita activa oder vom tätigen Leben. (1960)
Biographisches aus den o. a. Medien:
Zur Illustration ihrer Person aus „Was bleibt, sind Fragen“,
-Kapitel 2: 22:00 bis 23.33 Uhr über den Antisemitismus ihrer Kindheit.
-Kapitel 5: bis 1:04:25 über das Denken und Konsumieren.
Und zu ihr und ihrer Lebensauffassung an ihren treuen und vertrauten Freund Karl Jaspers aus „Ich will verstehen“,
-Palmville 10.8.1966, CD 2/Track 17
9. Lied: „Wo ein Mensch Vertrauen gibt“ (Singt von Hoffnung, Nr. 121)
10. Collage von Zitaten
(mit verschiedenen Sprecherinnen) dazwischen Musik zur Besinnung
(1) Die Liebe braucht den „Zwischenraum“, der nur entstehen kann, wenn jemand gelernt hat, dass er nicht allein, sondern nur gemeinsam mit anderen Menschen herausfinden kann, wer er ist und was ihn mit seinen Mitmenschen verbindet. Erst dann kommt es zu einem Gespräch, das nicht durch Erwartungen und feststehende Überzeugungen bestimmt ist, sondern in dem sich jeder zeigt, ohne Ängste und Vorbehalte. Ohne diesen Zwischenraum bleibt für Hannah Arendt jede Liebe „weltlos“. Sie ist nur Leidenschaft und verbrennt wie Stroh zwischen den Liebenden. [Prinz: Hannah Arendt]
(2) Von einer kollektiven Schuld oder Unschuld zu reden, hat keinen Sinn. So etwas gibt es nicht, schreibt sie, weil Schuld etwas ist, das nur einen einzelnen Menschen betreffen kann. Wenn sich jemand schuldig gemacht hat, dann ist es ein bestimmter Typ von Mensch, dessen sich die Nazis für ihre teuflischen Pläne bedienen konnten. Und dieser Typ ist kein Fanatiker, Sadist oder Lustmörder, es ist der gewöhnliche Familienvater, der „treu sorgende Hausvater“, dem die Sicherheit seines Privatlebens über alles geht. „Es hat sich herausgestellt, dass er durchaus bereit war, um der Pension, der Lebensversicherung, der gesicherten Existenz von Frau und Kindern willen Gesinnung, Ehre und menschliche Würde preiszugeben.“ [Prinz: Hannah Arendt]
(3) „Die Deutschen leben von der Lebenslüge und der Dummheit. Letztere stinkt zum Himmel“ [Hannah Arendt an Heinrich Blücher]
(4) „In dem Augenblick, wo ein Krieg schon der bloßen Vorstellung nach die Fortexistenz der Menschen auf Erden bedrohen kann, hat die Alternative zwischen Freiheit und Tod die alte Plausibilität verloren.“[…]
Die Frage stellt sich zweitens unweigerlich angesichts der ungeheuerlichen Entwicklung moderner Vernichtungs-möglichkeiten, deren Monopol die Staaten haben, die ohne dieses Staatsmonopol niemals zur Entfaltung gekommen wären (…) hier geht es nicht nur um Freiheit, sondern um das Leben, die Fortexistenz der Menschheit und vielleicht allen organischen Lebens auf der Erde. Die Frage, die hier entspringt, macht alle Politik fragwürdig; sie lässt es als fraglich erscheinen, ob unter modernen Bedingungen Politik und die Erhaltung des Lebens miteinander vereinbar sind, und sie hofft heimlich, die Menschen mögen ein Einsehen haben und auf irgendeine Weise die Politik abschaffen, bevor alle an der Politik zugrunde gegangen sind. [Arendt: Was ist Politik?]
(5) Dem Handeln ist es eigentümlich, Prozesse loszulassen, deren Automatismus dann dem der natürlichen Prozesse sehr ähnlich sieht, und es ist ihm eigentümlich, einen neuen Anfang zu setzen, etwas Neues zu beginnen, die Initiative zu ergreifen oder, Kantisch gesprochen, eine Ketten von as Das Wunder der Freiheit liegt in diesem Anfangen-Können beschlossen, das seinerseits wiederum in dem Faktum beschlossen lieget, dass jeder Mensch, sofern er durch Geburt in die Welt gekommen ist, die vor ihm da war und nach ihm weitergeht, selbst ein neuer Anfang ist.
Diese Vorstellung, dass Freiheit identisch ist mit Anfangen oder, wieder Kantisch gesprochen, mit Spontaneität, ist uns sehr fremd, weil es im Zuge unserer Tradition begrifflichen Denkens und seiner Kategorien liegt, Freiheit und Willensfreiheit zu identifizieren und unter Willensfreiheit die Freiheit der Wahl zwischen Vorgegebenem, grob gesprochen: dem Guten und dem Bösen, zu verstehen, aber nicht die Freiheit, einfach zu wollen, dass dies oder jenes so oder anders sei. [Arendt: Vita activa]
(6) Wenn es also im Zuge der Ausweglosigkeit, in die unsere Welt geraten ist, liegt, Wunder zu erwarten, so verweist diese Erwartung uns keineswegs aus dem ursprünglich politischen Bereich hinaus. Wenn der Sinn von Politik Freiheit ist, so heißt dies, dass wir in diesem Raum – und in keinem anderen – in der Tat das Recht haben, Wunder zu erwarten. [Arendt: Was ist Politik?]
(7) „Das Verzeihen (sicherlich eine der großartigsten menschlichen Fähigkeiten und vielleicht die kühnste der menschlichen Handlungen, insofern es das beinahe Unmögliche versucht, nämlich Getanes ungetan zu machen, und mit Erfolg einen neuen Anfang setzt, wo alles an ein Ende gekommen zu sein schien) ist eine einzelne Handlung und gipfelt in einem einzelnen Akt.“ [Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft]
(8) Das Heilmittel gegen Unwiderruflichkeit – dagegen, dass man Getanes nicht rückgängig machen kann, obwohl man nicht wusste, und nicht wissen konnte, was man tat – liegt in der menschlichen Fähigkeit, zu verzeihen.
Das Heilmittel gegen Unabsehbarkeit – und damit gegen die chaotische Ungewissheit alles Zukünftigen – liegt in dem Vermögen, Versprechen zu geben und zu halten. [Arendt: Vita activa]
(9) Wir sind alle darauf angewiesen zu sagen: Herr vergib ihnen, was sie tun, denn sie wissen nicht, was sie tun. Das gilt für alles Handeln. Einfach ganz konkret, weil man es nicht wissen kann. Das ist ein Wagnis. Und nun würde ich sagen, dass dieses Wagnis nur möglich ist im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt, in einem – schwer genau zu fassenden – aber grundsätzlichen Vertrauen in das Menschliche aller Menschen. Anders könnte man es nicht. [Gaus: Die klassischen Interviews]
11. Lied: „Gott ist gegenwärtig“ EG 165, 3 – 5
Verkündigung
12. Verkündigung
Hannah Arendt und der Glauben an Gott
Das Heilmittel gegen Unwiderruflichkeit – dagegen, dass man Getanes nicht rückgängig machen kann, obwohl man nicht wusste, und nicht wissen konnte, was man tat – liegt in der menschlichen Fähigkeit, zu verzeihen.
Das Heilmittel gegen Unabsehbarkeit – und damit gegen die chaotische Ungewissheit alles Zukünftigen – liegt in dem Vermögen, Versprechen zu geben und zu halten. [Arendt: Vita activa]
Liebe Gemeinde,
I.
Hannah Arendt zu entdecken, heißt, Wahrheiten über uns Menschen zu entdecken. Hannah Arendt hat in einer Weise gedacht und geschrieben, die es nahezu unmöglich macht, sie zu lesen. So komplex und intellektuell sind ihre Bücher und Texte. Ihr Denktagebuch – in meinem Schrank steht es, seitdem es erschienen ist – enthält seitenweise griechische Passagen, französische Abhandlungen, Zitate in Latein, Englisch… nur Jiddisch oder russisch habe ich bisher nicht entdeckt. Es ist ein Buch, das von beharrlichem Denken zeugt. Denken in schonungsloser Klarheit und Kompromisslosigkeit. In einem sagenhaften Mut zum Urteil. Alles Eigenheiten, die wir heute leider nicht besonders schätzen und auch an ihr oftmals nicht gemocht wurden: sie galt ihren Zeitgenossen als arrogant und rechthaberisch… naja. So ist das, wenn man eine Meinung hat, würde sie lakonisch darüber sagen. (Und dann würde sie sich die nächste Kippe anzünden, tief inhalieren und weiter denken und lebhaft mit denen streiten, die ihr Denken mochten und ihre Leidenschaft für das Gespräch zu schätzen wussten. Etwas, was man in der Aufzeichnung ihres Gesprächs mit Günter Gaus wunderbar erleben kann. Es macht Freude, mit ihr zu denken und zu verstehen…)
Hannah Arendt verstand sich als politische Theoretikerin. Sie hat sich mit den Gegebenheiten der Zeit, Gesellschaft und der Menschen befasst. Ohne Empirische Forschung. Ganz und gar ohne jede Vergewisserung außer ihres eigenen Verstandes. (Sie hat keine Interviews geführt, keine Daten gesammelt, keine Befragungen durchgeführt. Sie hat nur nachgedacht. Vorher hat sie New York Times gelesen. Und Platon. Und Jaspers. Und die Bibel. Und sie hat sich unterhalten. Mit Freunden und Feinden.)
Ihre Entdeckungen sind fundamental.
Besonders in ihrer Analyse des Totalitarismus ist sie bis heute maßgeblich. Und in ihrem tiefen Verstehen der Banalität des Bösen, das in der Gedankenlosigkeit des Menschen begangen wird. Gedankenlosigkeit. Ohne Denken, ohne inneren Dialog. Ohne Gewissen.
Und: etwas, was mich besonders bewegt hat, ihre Analyse von Gedankenlosigkeit und Totalitarismus hat sie schon sehr früh zur Erkenntnis geführt, dass der Konsumismus der Gegenwart ebenfalls eine Erscheinung des Totalitarismus ist, die den Menschen zutiefst einsam macht und dadurch zum perfekten Konsumenten verkümmert, der gedankenlos einkauft, statt zu leben.
SAGENHAFT!!!
II.
Gegen diese dunklen Erkenntnisse stellte sie ein helles Leuchten einer tiefen Liebe zu den Menschen und ihrer Menschlichkeit. Sie traut den Menschen, trotz Auschwitz und Hiroschima, weiterhin das Gute zu: zur Vernunft zu kommen, zu denken, zu arbeiten und zu lieben.
Das kann sie in unglaublich schöne Worte fassen:
Das Heilmittel gegen Unwiderruflichkeit – dagegen, dass man Getanes nicht rückgängig machen kann, obwohl man nicht wusste, und nicht wissen konnte, was man tat – liegt in der menschlichen Fähigkeit, zu verzeihen.
Das Heilmittel gegen Unabsehbarkeit – und damit gegen die chaotische Ungewissheit alles Zukünftigen – liegt in dem Vermögen, Versprechen zu geben und zu halten. [Arendt: Vita activa]
Hannah Arendt war unreligiös. Natürlich Jüdin. Von Geburt. Aber mehr nicht.
Der Gottesgedanke spielt in ihren Überlegungen folglich keine Rolle.
Natürlich spielt sie auf der Klaviatur der christlich abendländischen Überlieferung virituos. Aber nur zur Verdeutlichung ihrer Gedanken. Keinesfalls in Gestalt eine Bekenntnisses.
Deshalb gibt ihr Denken auch keine Predigt her.
Aber als glaubender Mensch bieten mir ihre Gedanken und Entdeckungen ermutigende Hinweise auf das Menschliche und Politische. Ich gewinne an Weite und Hoffnung: Verzeihen und Versprechen. Nach ihrem Werk „Vita activa“ sind das die menschlichen Fähigkeiten, die uns zur Zukunft befähigen, die uns ein Recht zu leben gewähren.
Und das – mit Verlaub – kann ich sehr gut christlich vereinnahmen.
„Liebe deine Feinde.“ – Verzeihen.
„Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ – Versprechen.
III.
Tatsächlich gründet sich unser Leben auf diesen beiden Gaben.
Wir leben aus der Vergebung. Sowohl aus der, die wir erfahren als auch aus der, die wir gewähren.
Und wir leben vom Versprechen: ich habe dich lieb. Dieses Versprechen gilt. Es wird uns von unseren Eltern zugesprochen, in der Taufe erfahrbar von Gott gewährt und ein Leben lang haltbar gemacht. Hoffentlich.
Auf die gehaltenen Versprechen gründet sich unser Lebensvertrauen.
Tagtäglich.
Gott verspricht sich uns in Treue und Nähe.
Wir versprechen uns einander.
Treue – als Wort für ein gehaltenes Versprechen, bekommt einen tiefen, warmen Klang.
Hannah Arendt sei Dank.
Gott sei Dank.
Das Heilmittel gegen Unwiderruflichkeit – dagegen, dass man Getanes nicht rückgängig machen kann, obwohl man nicht wusste, und nicht wissen konnte, was man tat – liegt in der menschlichen Fähigkeit, zu verzeihen.
Das Heilmittel gegen Unabsehbarkeit – und damit gegen die chaotische Ungewissheit alles Zukünftigen – liegt in dem Vermögen, Versprechen zu geben und zu halten. [Arendt: Vita activa]
Amen.
13. Lied: „Wie ein Fest nach langer Trauer“ (Singt von Hoffnung, 117)
Fürbitten, Aussendung und Segen
14. Ansagen der Gemeinde
15. Dankopfer
Lied: „Ich möcht, dass einer mit mir geht“ (EG 209, 1 – 4)
16. Dankgebet
17. Fürbitten und Vater unser
Guter Gott, wir danken dir für unser Leben in aller Fülle. Wir danken dir, dass wir begabt sind zu verzeihen und zu versprechen. Wir danken dir, dass wir von dir beschenkt sind mit den guten Gaben des Lebens und der Liebe. Wir bitten dich: mach unsere Herzen weit, öffne unseren Verstand und segne uns mit Mut und Lust, Leben und Liebe zu wagen und ergreifen.
Gott – höre uns.
Großer Gott, manches in der Welt gibt uns Rätsel auf. Wir verstehen nicht, was geschieht. Wir können nicht fassen, was vor sich geht. Erschrocken sehen wir Unheil und Gewalt, Gier und Missgunst, Neid und Herzlosigkeit. Wir geben zu, das geht über unseren Verstand. Wir wollen nicht mehr! Du großer Gott, rette uns vor unserer Angst und ermutige uns zum Verstehen und Durchdringen. Gib uns Kraft zum Urteil. Und stärke unsere Herzen zur Einmischung.
Gott – höre uns.
Freundlicher Gott, zu unserem Leben brauchen wir Ermutigung. Alltag, Frust, Überlastung, Einsamkeit, Ratlosigkeit manchen uns klein. Wir leben vor uns hin. Und halten aus, was auszuhalten ist. Von der Gestaltung der Welt haben wir uns verabschiedet. Gott – rück uns zurecht. Weck uns auf. Führe uns zurück in die Lebendigkeit und gib uns Hoffnung, dass das Leben in aller Lebendigkeit gelingen kann.
Gott – höre uns.
Großer Gott, unsere Kirche und unsere Gemeinden brauchen neuen Schwung. Unsere Welt braucht Einmischung und Mut zum Widerstand. Unsere Kraft ist begrenzt. Aber du kannst uns entgrenzen. Du kannst uns aufbrechen lassen zu neuen Ufern. Mit dir gewinnen wir Freiheit. Auf deinen Flügeln fliegen wir mit in die Morgenröte des guten Lebens. Komm Gott, stifte uns neu an zur Liebe, zum Versprechen und zum Verzeihen. Mach uns menschlich.
Gott – höre uns.
Vater unser…
18. Aussendung und Segen
19. Lied: „Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395, 1- 3)
20. Musik