„Hans, mein Igel“ ein Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm

Ein Literaturgottesdienst
Autorin: Barbara Friedrich, Pfarrerin d. Ev. Johannesgemeinde, Hofheim am Taunus
Ein Gottesdienst aus der Reihe „Praxistipps“ des Verbandes Evangelischer Büchereien in Hessen und Nassau.
Das Thema Märchen ist ein zeitloses Thema. Märchen sind mündlich erzählte Geschichten, aufgeschrieben um sie zu bewahren. Ich bring euch eine gute neue Mär…
Eine gute Mär ist die Geschichte von der Liebe Gottes zu seinen Menschen.
Eine kleine gute Mär ist ein Märchen.
Märchen sind Geschichten, die gut ausgehen. Immer. Sie handeln von der Verwandlung und Erlösung, von der Kraft der Liebe und der Überwindung des Bösen.
Übersicht/ Ablauf
Lieder
EG 548 Meine engen Grenzen
EG 638 Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt
EG 178.11 Herr, erbarme dich
Ich sing dir mein Lied (T und M aus Brasilien / dt. Fritz Baltruweit, Barbara Hustedt
Aus: Zusammen unterwegs, 1995, © tvd-Verlag, Düsseldorf)
Eröffnung und Anrufung
Musik zum Eingang
Begrüßung
Eingangsgebet
Lied EG 548 Meine engen Grenzen
Bibellesung
Markus 8,22-26 „Die Heilung eines Blinden“
Lied EG 638 Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt
Predigt
mit Zitaten aus dem Märchen „Hans, mein Igel“
1. Lesung des Märchens (ca. 12 Min.)
2. Predigt
Musik - Zwischenspiel
Kanzelabkündigungen / Fürbitte / Vater unser
Fürbittengebet
Lied EG 178.11 Herr, erbarme dich
Gebet in der Stille
Vater unser
Lied Ich sing dir mein Lied
Segen
Musik zum Ausgang
Eröffnung und Anrufung
Musik zum Eingang
Begrüßung
Votum: Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Eingangsgebet
Guter Gott, ich komme zu Dir.
Meine Sorgen, meine Gedanken, meine Freuden, meine Fragen –
Nichts ist vor Dir verborgen.
Ich lege alles in Deine Hände.
Ich bitte Dich, stärke mich. Mach mich neu.
Hilf mir, zu glauben.
Heile, was heilen muss.
Lass mich verstehen, was ich lernen soll.
Zeige mir den Weg zur Quelle, den Weg zu Dir, den Weg zu anderen Menschen.
Wir beten gemeinsam weiter mit den Worten des Liedes 584.
Lied EG 584 Meine engen Grenzen
Bibellesung
Bibellesung Markus 8, 22 – 26 Die Heilung eines Blinden
Lied EG 638 Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt
Predigt
1. Lesung des Märchens (ca. 12 Minuten)
2. Predigt
Liebe Gemeinde,
es war zu der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat… Mit Wünschen sollten wir vorsichtig sein. Sie könnten in Erfüllung gehen. Hans ist ein verwünschtes Kind.
Er ist nicht verzaubert von einer bösen Fee, aber er trägt an sich die Qual des langen Wartens und den Zorn seines Vaters über den Spott der anderen. Er trägt an sich die Bitterkeit, die seinen Vater dazu führt, dass er sich im Zorn verwünscht; sein Wünschen misslingt – oder anders gesagt, sein Wunsch geht zu sehr, zu wörtlich in Erfüllung.
Märchen erzählen uns alles, was wir wissen müssen, aber kein Wort zu viel. Und sie erklären nicht. Hans kommt, wie vom Vater leichtfertig gewünscht, mit einer Igelhaut zur Welt, jedenfalls zur Hälfte. Er ist Igel da, wo das Herz ist.
Die Mutter sagt, der Vater ist schuld. Beide sind enttäuscht. Haben sie es sich anders vorgestellt, ein Kind zu haben? Er wird nicht wirklich ihr Kind sein können. Er ist kein gelungenes Kind. Er ist ein verwünschtes Kind.
Aber getauft werden muss er. Der Pfarrer hat kein Problem damit, ein Kind zu taufen, das halb Igel halb Mensch ist. Aber er sieht praktische Probleme: die Stacheln könnten das Bett zerstechen!
Ganz offensichtlich kann Gott dieses Kind ohne Mühe annehmen, wie alle anderen Kinder auch. Gott sieht die Stacheln vielleicht gar nicht.
Die Menschen haben Schwierigkeiten mit den Stacheln. Praktische Schwierigkeiten und gefühlsmäßige Schwierigkeiten. Sie können nicht lieben und leben mit diesen Stacheln. Kein Pate für Hans. Keine Muttermilch. Keine Familie. Immerhin ein warmes Plätzchen hinter dem Ofen. Und einen Namen, der die Liebe seiner Mutter ausdrückt, die körperlich nicht ausgedrückt werden kann: Hans-mein-Igel. Nicht: Mein-Hans-der-Igel!
Erstaunlicherweise wächst Hans hinter dem Ofen heran, ganz für sich. Und er weiß, was richtig für ihn ist. Sein innerer Kompass führt ihn. Seine Eltern erklären ihm nicht die Welt. Aber er spürt, wo es mit ihm hin soll.
Musik machen will er. Die Musik ist in ihm und sie hat heilende, stärkende Kraft. Dudelsack und Hahn (nicht etwa ein stolzes, teures Pferd) sind seine Gefährten auf dem Weg in die Welt.
Musik hat heilende Kraft. Eine Arbeit braucht er auch. Schweine hüten. Hans will Schweine hüten und er macht das gut und ist erfolgreich. Allerdings bleibt er mit seiner Musik und seinem Erfolg ganz alleine.
Die offene Frage, die offene Wunde seines Lebens ist die Verwünschung des Vaters. Wird er alleine bleiben? Muss er sich so sehr vor Nähe schützen, dass er die Stacheln sein Leben lang mit sich tragen wird? Wird er je Liebe fühlen, erleben, geben können?
Das ist eine Lebensfrage vieler Menschen. Der Igel-Hans im Märchen ist unsichtbarer Begleiter so vieler Menschen. Wenn Liebe fehlt zu Beginn, dann fehlen Vertrauen in andere Menschen und Vertrauen in das Leben und Vertrauen in Gott. Hans scheint eine ungenannte, unsichtbare Quelle für Vertrauen in sich und in das Leben zu haben. Aber da sind und bleiben die Stacheln.
Wie viele Menschen gibt es, die mit unsichtbaren Stacheln leben. Komm mir nicht zu nahe, sonst verletze ich Dich. Komm mir nicht zu nahe, ich kann an Deine Nähe und an Deine Liebe nicht glauben. Niemand beschützt mich, also lasse ich mir Stacheln wachsen. Ich habe noch nie erlebt, dass mich jemand liebt, vorbehaltlos, bedingungslos. Das macht mein Lebensgefüge so verletzlich, dass ich Stacheln wie einen Zaun um mich errichte. Mit diesen Stacheln kann ich mich wehren, kann ich kämpfen und andere verletzen.
Es sind manchmal sehr erfolgreiche Menschen, die Stacheln brauchen. Sie wirken stark, so als hätten sie ihr Leben im Griff. Sie können lebhaft kommunizieren, aber sie können nicht wirklich über ihre Gefühle sprechen. Um sich zu schützen, verletzen sie. Um sich zu schützen, halten sie andere auf Distanz, auch da, wo sie Nähe leben wollen. Letztlich schützen sie sich vor sich selbst, vor dem Blick ins eigene Herz. Die eigene, innere, überaus schmerzliche Wahrheit bleibt tief verborgen hinter dem Stachel-Schutz-Zaun.
Wie können Menschen geheilt werden? Wie kann es gelingen, dass sie ihre Stacheln ablegen und ganze Menschen werden? Wie wird Hans geheilt? Märchen erklären nicht, sie erzählen nur. Aber das ganz Präzise. Es ist nicht der Erfolg, der ihn heilt. Der Besitzer der riesigen Schweineherde öffnet das Herz des Vaters nicht. Der Erfolg hat aber dazu beigetragen, dass Hans eines Tages sagen kann, „er sei nun lange genug im Wald gewesen“. Er hat kein Vertrauen gelernt in andere Menschen. Aber er hat Vertrauen gefunden in sich selbst.
Unerbittlich ist er in der Strafaktion gegen die Tochter des Königs, der sein Wort nicht hält. Er kann es nicht ertragen, hintergangen worden zu sein. Sie muss stellvertretend für ihren Vater büßen.
Hans hat Erfahrungen gesammelt mit Menschen; er begegnet ehrlichen Menschen und Betrügern. Die Erfahrung, dass einer zu seinem Wort steht, die ist es, die ihn heilt. Der ehrliche König und die Prinzessin, die richtige Prinzessin natürlich, sind es, die ihn heilen. Ich nehme Dich so, wie Du bist. Ich nehme Dich mit Deinen Stacheln, auch wenn ich vor ihnen Angst habe.
Es ist ja nicht so, dass die Königstochter vor lauter Liebe die Stacheln einfach nicht sieht. Es ist eigentlich noch gar keine Liebe, sondern Treue. Der Vater hat ein Versprechen gegeben und die Tochter hält es treu.
Und dann geschieht die Erlösung und die Igelhaut verbrennt im Feuer. Hat Hans sein Leben lang von der Fähigkeit gewusst, seine Igelhaut abzulegen? Er weiß selbst, wie er sich befreien kann. Warum jetzt – und nicht viel früher? Jetzt, weil er nicht mehr alleine ist, weil es jemanden gibt, der die Igelhaut ins Feuer wirft. Dazu hat er – gerade erst erlöst davon – wohl nicht die Kraft. Als habe sie ein Eigenleben, könne sich wieder auf ihn legen, ihn nicht loslassen, wenn sie nicht schnell verbrannt wird.
Märchen erzählen uns, was wir wissen müssen. Aber kein Wort zu viel. Alles hat seine Zeit. Jetzt ist der Moment, dass der ungeliebte, missgestaltete, verwünschte Hans seine Stacheln ablegen kann. Er ist erfolgreicher Schweinezüchter geworden und er ist musikalisch. Aber vor allem kann er nun den Menschen vertrauen. Er braucht seine Stacheln nicht mehr. Und als er sie ablegt, da kommt die Liebe zu ihm. Er wird ein ganzer Mensch. Unter der Igelhaut ist er noch schwarz. Schwarz ist die Farbe der Hoffnungslosigkeit, der Verlassenheit, des Todes und der Trauer. So erfolgreich Hans in seinem Leben mit den Stacheln auch war, die Verlassenheit und die Trauer haben ihn begleitet und gezeichnet. Die Ärzte müssen kommen und ihn behandeln. Die Trauer muss überwunden werden durch Berührung. Salben! Danach ist er frei und der Schönste unter den jungen Männern.
Jetzt feiern sie noch einmal Hochzeit. Sie muss wiederholt werden, weil jetzt erst die Liebe erwacht ist. Und der Vater erkennt ihn nicht, aber er weint vor Freude und alles wird gut. Zwischen Vater und Sohn wird alles gut.
Hans wurde mit Stacheln getauft. Wenn auch die Hochzeit wiederholt werden muss, die Taufe gewiss nicht. Gott liebt uns vorbehaltlos. Mit unseren Stacheln. Mit unserer Abwehr. Mit unseren Versuchen, erfolgreich und unangreifbar zu sein. Er liebt uns an unserem Platz hinter dem warmen Ofen. Und wenn wir aufbrechen. Und wenn wir uns in den Wald zurückziehen, um das Leben zu lernen. Er liebt uns treu und unermüdlich, damit wir eines Tages die Igelhaut ausziehen und ins Feuer werfen können. Gottes Ja – in der Taufe gesprochen – gilt uns unwandelbar – mit Stacheln und ohne.
Was die vielen Heilungsgeschichten der Bibel erzählen, dass sagt uns auch Hans: Es kann alles gut werden. Du kannst heil werden. Du kannst Treue erleben und Vertrauen entwickeln, auch wenn Dir davon so viel gefehlt hat. Es kann alles gut werden. Leg sie ab, die Stacheln, hab keine Angst vor Nähe. Hab keine Angst davor, lass die Trauer ans Licht kommen. Lass Dich berühren – von Gott, von Menschen, die er Dir sendet. Lass Dich salben. Lass Dir helfen. Die Igelhaut gehört ins Feuer. Niemand braucht sie mehr, sie kommt nicht wieder. „Da weinte er vor Freude und ging mit seinem Sohn fort in sein Königreich“.
Amen.
Musik – Zwischenspiel
Kanzelabkündigungen / Fürbitte / Vater Unser
Fürbittengebet:
Barmherziger Gott. Bei Dir werden wir heil. Du liebst uns mit unseren Stacheln. Du kannst uns helfen, sie abzulegen.
Wir bitten Dich, hilf uns, zu vertrauen, zu glauben, zu hoffen und zu lieben
Wir beten und singen gemeinsam: Herr erbarme Dich:
Gemeinde singt: EG 178.11
Gott, wir danken Dir für die Gabe, uns auszudrücken, uns zu verständigen, uns in Worten der Dichter wieder zu finden. Wir danken Dir für alle Worte, die uns bewegen und verändern, die unseren Horizont weiten.
Wir bitten Dich für alle Schriftsteller und Journalisten in der Welt, die in Gefängnissen, in Hausarrest, in Unterdrückung leben, weil sie schreiben, was sie sehen und denken und fühlen, weil sie schreiben über ihre Träume von Gerechtigkeit und Frieden. Wir beten und singen gemeinsam:
Gemeinde singt: EG 178.11
Großer Gott, vor unseren Augen sind die Bilder… (Aktuelles einfügen), Bilder von Gewalt und Angst. Wir bitten Dich um Deinen Frieden für die Menschen in ….
Wir bitten Dich für alle, die betroffen sind von Verletzungen und dem Tod Angehöriger. Wir bitten Dich um Freiheit und Gerechtigkeit für die Menschen in … und in aller Welt. Wir beten und singen gemeinsam:
Gemeinde singt: EG 178.11
Wir bitten Dich für alle Menschen in unserer Gemeinde, die krank sind und die kämpfen müssen um ihre Gesundheit, die an Grenzen stoßen. Wir bitten Dich für alle Menschen, die trauern. Wir beten und Singen gemeinsam
Gemeinde singt: EG 178.11
Gebet in der Stille
Vater Unser
Lied: Ich sing Dir mein Lied
Segen
Gott segne Dich und behüte Dich
Gott segne was aufbricht und heilen muss in Dir
Gott segne Dich und schenke Dir seinen Frieden
Musik