27.01. - Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz befreit. Auch 78 Jahre später machen die Verbrechen des NS-Regimes fassungslos. In unserer Empfehlungsliste zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust haben wir neuere Titel zusammengestellt, die sich mit den Schicksalen der Opfer beschäftigen, ihre Lebensgeschichten erzählen und die Erinnerungen an dieses dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte wach halten.

Selma und Anton. Die Geschichte einer langen Freundschaft. Nina Kölsch-Bunzen. Ill. von Marion Goedelt. Berlin: Ariella 2021. O. Pag. : überw. Ill. ; 29 cm. ISBN 978-3-945530-37-5, geb.: 16,00 €
Selma erzählt ihrer Urenkelin Miri, was sie als jüdisches Kind in der Zeit des Nationalsozialismus erlebt hat.
An ihrem Geburtstagsmorgen hat Selma ihre Urenkelin Miri, ihren besten Freund Anton und dessen Urenkel Tom zu sich eingeladen. In einem Fotoalbum entdecken Miri und Tom Bilder aus den Kindertagen Selmas und Antons. Die beiden Alten erzählen von fröhlichen Kinderspielen, dann aber tauchen HJ und BDM-Uniformen auf den Bildern auf und Selma trägt plötzlich einen Stern auf der Jacke ... Nina Kölsch-Bunzen und Marion Goedelt gelingt es auf behutsame Weise, Kindern die Lebensgeschichte der Jüdin Selma und ihres körperbehinderten Freundes Anton nahezubringen. Kindgerecht erzählen sie von Judenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Flucht, aber auch von ihrer lebenslangen Freundschaft und der Hoffnung auf ein Leben in Vielfältigkeit. Die letzten Seiten des Buches feiern diese Hoffnung mit dem Bild einer ausgelassenen Geburtstagsfeier. Ein liebevoll gestaltetes, pädagogisch durchdachtes Buch, das auch von heutigem jüdischen Leben erzählt und zur Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus einlädt.
Hoffentlich bringt dieses Buch viele KiTa-Gruppen und Grundschulklassen auf die Idee, Besuche in jüdischen Gemeinden oder Altersheimen durchzuführen! Ab 5 J.
Signatur: Jm 1
Schlagworte: Antisemitismus | Judenfeindlichkeit | Kulturelle Diversität | Judentum
Bewertung: +++
Rez.: Erhard Reschke

Sís, Peter: Nicky & Vera. Ein stiller Held des Holocaust und die Kinder, die er rettete. Dt. von Brigitte Jakobeit. Hildesheim: Gerstenberg 2022. O. Pag. : überw. Ill. ; 31 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-8369-6151-6, geb.: 18,00 €
Die Geschichte der Rettung jüdischer Kinder aus dem durch die Wehrmacht besetzten Prag.
Kann es gelingen, Kindern vom Holocaust zu erzählen, ohne sie zu überfordern? Peter Sís zeigt, wie es gehen kann und erzählt in seinem Bilderbuch die Lebensgeschichten von Nicky und Vera. Nicky ist ein junger Brite, der in den Jahren 1938/39 669 jüdischen Kindern aus der Tschechoslowakei das Leben rettet, indem er ihre Flucht vor den Nazis organisiert. Vera ist eines dieser Kinder, die in England Aufnahme finden. Der Stil der Erzählung, die kongenial durch Brigitte Jakobeit übersetzt wurde, ist einfach und klar. In seinen symbolstarken Bildern gelingt es Sís immer wieder, unterschiedliche Bedeutungsebenen übereinander zu lagern - so trägt z. B. die kleine Vera die Erinnerungen an ihr Elternhaus und ihre Katze auf ihrem Weg nach London in sich. Es ist ein wirkliches Abenteuer, Seite für Seite dieses Bilderbuchs zu entdecken. Kinder brauchen dabei allerdings Erwachsene an ihrer Seite, die bereit sind, sich auf das gemeinsame Lesen vorzubereiten und sich sachkundig zu machen.
Hoffentlich wird dieses informative und ergreifende Bilderbuch in vielen Schulklassen (ab 7 J.) und Konfirmandengruppen gelesen werden. Die Altersangabe des Verlags (ab 5 J.) scheint mir unangebracht.
Signatur: Jm 1
Schlagworte: Holocaust | Widerstand | Nationalsozialismus | 2. Weltkrieg
Bewertung: +++
Rez.: Erhard Reschke

Die Geschichte von Bodri. Hédi Fried. Ill. von Stina Wirsén. Dt. von Christina Tüschen. Mit einem Nachwort von Margret Karsch. Münster: Bohem Press 2022. O. Pag. : überw. Ill. ; 27 cm. Aus d. Schwed. ISBN 978-3-95939-203-7, geb.: 15,00 €
Kindgerechte Erzählung über Judenverfolgung am Beispiel der Autorin und ihrem Hund Bodri.
Als Überlebende des Holocaust ist es Hédi Fried wichtig, von der Zeit des Nationalsozialismus zu berichten, „damit es nie wieder passieren kann". In einfacher Sprache erzählt sie aus ihrem Blickwinkel als Kind, was damals passiert ist. Sie wächst glücklich gemeinsam mit ihren Eltern, der Schwester und dem Hund Bodri in Ungarn auf, spielt mit ihrer Freundin und deren Hund. Doch der Krieg beginnt, Hédi darf nicht mehr mit ihrer christlichen Freundin spielen, nicht mehr mit Bodri spazieren gehen. Die Familie wird in einen Zug getrieben, Bodri, der hinterher rennt, darf nicht mit. Im Lager, wo Hédi und ihre Schwester von den Eltern getrennt werden, wo Hunger, Durst und Krankheiten herrschen, helfen Hédi die Gedanken an Bodri. Auch der Hund wartet auf die Schwestern und am Ende finden sie sich wieder.
Der kindgerechte Text wird von ausdrucksvollen farbigen Zeichnungen von Stina Wirsén begleitet, deren Farbgebung das Geschriebene unterstreicht: zunächst fröhlich bunt, dann dunkel grau-schwarz.
Für Kinder ab 8 Jahren zusammen mit Erwachsenen, die die auftretenden Fragen beantworten können. Ein Nachwort für Erwachsene erleichtert die gemeinsame Lektüre.
Signatur: Ju 2
Schlagworte: Judenverfolgung | Ungarn | Holocaust | Hund
Bewertung: +++
Rez.: Gabriele Güterbock-Rottkord

Lagercrantz, Rose: Zwei von jedem. Ill. von Rebecka Lagercrantz. Dt. von Angelika Kutsch. Frankfurt am Main: Moritz 2021. 115 S. : Ill. ; 20 cm. Aus d. Schwed. ISBN 978-3-89565-419-0, geb.: 14,00 €
Berührendes Kinderbuch zu dem schwierigen Thema Holocaust eingebettet in eine Liebesgeschichte.
Rose Lagercrantz, die mehrere Bücher über jüdisches Schicksal geschrieben hat, wurde vom schwedischen Rundfunk gebeten, ein Märchen für Kinder darüber zu schreiben. Obwohl sie zunächst Zweifel hatte, ist ihr dies mit diesem kleinen Buch eindrücklich gelungen. Sie hat dafür auf die Erlebnisse in ihrer eigenen Familie zurückgegriffen und erzählt in einfacher, schnörkelloser Sprache von Eli und Luli, die sich schon als Kinder zueinander hingezogen fühlen. Sie wachsen zwar arm, aber geborgen in Siebenbürgen auf, in einer Kleinstadt mit zwei von jedem: zwei Flüssen, zwei Hauptstraßen, zwei Sprachen. Sie teilen alles, doch Luli wandert nach Amerika aus und die Herrschaft der Nationalsozialisten beginnt. Die Familie von Eli wird deportiert, nur er und sein Bruder überleben und gehen nach Schweden. Dann endlich trifft ein Brief von Luli ein!Behutsam und feinfühlig schafft es die Autorin vom Holocaust und dem Leiden der Juden zu erzählen, begleitet von zarten Aquarellen ihrer Tochter.
Ein wichtiges Buch für Erwachsene und Kinder ab 9 Jahren - durch Sprache und große Schrift für alle gleichermaßen geeignet.
Signatur: Ju 2
Schlagworte: Freundschaft | Liebe | Judenverfolgung | Holocaust
Bewertung: +++
Rez.: Gabriele Güterbock-Rottkord

Aber ich lebe. Vier Kinder überleben den Holocaust. Barbara Yelin, Gilad Seliktar u. Miriam Libicki. Hg. von Charlotte Schallié. Dt. von Rita Seuß. München: C.H.Beck 2022. 175 S. : überw. Ill. ; 29 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-406-79045-4, geb.: 25,00 €
Beeindruckendes und berührendes Erinnerungsprojekt zum Thema Holocaust.
Dieser Comicband ist ein historisches Erinnerungsprojekt von drei Zeichner:innen. Barbara Yelin, Miriam Libicki und Gilad Seliktar zeichnen in drei Geschichten die persönlichen Erlebnisse von vier Kindern während des Holocausts. Das im A4-Format gehaltene Buch zeigt auf 170 Seiten drei verschiedene Zeichenstile. Barbara Yelins erster Teil besticht dabei mit farbigen Pinselzeichnungen, die sehr gut die emotionale Tiefe unterstreichen. Die Zeichnerin besuchte für ihren Teil Emmie Arbel, die aus Holland deportiert wurde und ein Konzentrationslager überlebt hat. Miriam Libicki lässt für den zweiten Teil, der ganz in aquarellartigen Zeichnungen gehalten ist, David Schaffer zu Wort kommen. Davids Familie wurde aus ihrer Heimat in Rumänien vertrieben und musste sich über Jahre ohne festen Wohnsitz und immer auf der Flucht vor den Nazis durchschlagen. Die dritte Lebensgeschichte wurde von Gilad Seliktar in minimalistischer blau-gelber Farbgebung auf großen horizontalen Bildern festgehalten. Die Brüder Kamp überlebten in Holland in mehr als 13 wechselnden Verstecken. Ein wunderbares Projekt.
Ein tolles Projekt zum Thema Holocaust. Für Kinder und Jugendliche zum Ersteinstieg in das Thema geeignet.
Signatur: Ju 3 | SL
Schlagworte: Holocaust | Oral History | Deportation | Erinnerungen
Bewertung: +++
Rez.: Christian Prange

Adlington, Lucy: Das rote Band der Hoffnung. Dt. von Knut Krüger. Bamberg: Magellan 2021. 334 S. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-7348-5057-8, geb.: 18,00 €
Leben in Auschwitz-Birkenau aus der Perspektive einer fiktiven 14-jährigen Ella in der Näherei.
Das hellblau-weiß-gestreifte Cover deutet die KZ-Sträflingskleidung an: Ella, gerade 14 und Jüdin, kommt ins KZ Birkenau, in die Näherei. Aus ihrem Blick entwickelt die britische Autorin nun eine Geschichte des KZ-Alltags, des Überlebenwollens, totalen Gehorsams, des Wertes von Brot, Zigaretten und Träumen. Machtgefüge, selbst unter Häftlingen, sind hier klar. Ella denkt beim Zuschneiden - für die Aufseherin und die Frau des KZ-Kommandanten - an ihre „andere Welt“, in der sie keine Nummer ist, in der Kleidung etwas bedeutet, besonders an ihre Oma, die sie schneidern lehrte. Mit Freundin Rose träumt sie von einem Modegeschäft. Die Autorin charakterisiert genau, berichtet auch vom „Warenhaus“ mit den Hinterlassenschaften der Juden und den rauchenden Schornsteinen. Auf dem „Todesmarsch“ verhindert eine Frau Ellas Tod. Eine Bäuerin rettet sie. Happy End beim Treffen mit Rose und der Schneiderei. „Inspiriert von der Geschichte der Näherinnen von Auschwitz“ sei der Roman, erklärt das Nachwort.
Gut erzählt und übersetzt. Empfohlen für sicher zumeist weibliche Leser ab etwa 16. Trotz des schwierigen Stoffs fesselnd zu lesen.
Signatur: Ju 3
Schlagworte: Nationalsozialismus | Konzentrationslager | Birkenau | Näherei
Bewertung: ++
Rez.: Delia Ehrenheim-Schmidt

Boie, Kirsten: Dunkelnacht. Hamburg: Oetinger 2021. 127 S. ; 21 cm. ISBN 978-3-7512-0053-0, geb.: 13,00 €
Kriegsende in Penzberg (Oberbayern).
Die bekannte Kinder- und Jugendbuchautorin erzählt vom Ende des Zweiten Weltkriegs in Penzberg, einer oberbayrischen Kleinstadt. Während die Bewohner auf den Einmarsch der amerikanischen Truppen warten, bereiten sich die letzten überzeugten Nationalsozialisten auf den Kampfs des Werwolfs vor. Zusammen mit einem Regiment, das sich auf der Flucht in die imaginäre Alpenfestung befindet, terrorisieren die Nazis ihre Gegner, die eine friedliche Übergabe erreichen wollen. Die Folge sind 16 Ermordete am letzten Kriegstag.Wie Boie in ihrem Nachwort festhält, beruhen große Teile der Erzählung auf den historischen Fakten. Lediglich die beiden Hauptfiguren, ein 14 und 15 Jahre altes Liebespaar, erfindet sie dazu. So schafft sie einen emotionalen Zugang für Jugendliche. Die zurückhaltend erzählte Geschichte beleuchtet eine wenig bekannte Episode und das Nachwort verfolgt diese bis in die Gegenwart. Der Anhang vermittelt weitere Informationen zum Thema.
Ein gelungener Roman. Für Büchereien im weiteren Umfeld des Starnberger Sees und des Kochelsees ein Muss, aber auch darüber hinaus wärmstens empfohlen.
Signatur: Ju 3
Schlagworte: Kriegsende | Nationalsozialismus | Widerstand | Liebe
Bewertung: +++
Rez.: Peter Bräunlein

Cameron, Sharon: Das Mädchen, das ein Stück Welt rettete. Nach einer wahren Geschichte. Dt. von Katharina Förs u. Naemi Schuhmacher. Berlin: Insel 2020. 473 S. : Ill. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-458-17880-4, geb.: 18,00 €
Eine mutige junge Frau und ihre kleine Schwester retten im besetzten Polen mehreren Juden das Leben.
Die 13-jährige Stefania freut sich, endlich in die Stadt Przemyśl ziehen zu dürfen. Bei den Diamants, einer jüdischen Kaufmannsfamilie, findet sie Arbeit und ein neues Zuhause. Sie verliebt sich in Izio, einen der Söhne. Als 3 Jahre später deutsche Truppen die Stadt besetzen, verändert sich das Leben aller rasend. Izio und seine Familie werden ins Ghetto umquartiert. Stefania bleibt allein zurück. Sie bringt der Familie heimlich Lebensmittel. Izio kommt in ein Arbeitslager und wird ermordet. Zudem ist Stefanias Mutter fort. Sie nimmt ihre kleine Schwester zu sich. Als Izios Bruder Max eines Tages bei ihr auftaucht, versteckt sie ihn. Max bittet sie, nicht nur ihn, sondern auch andere Juden zu retten. Stefania wird zu einer Heldin.Sharon Camerons hervorragend geschriebene Geschichte um eine mutige junge Frau ist zutiefst berührend. Schonungslos werden hier die Gräueltaten der Nazis aufgezeigt. Zugleich geht es um beispiellosen Mut, Hoffnung und Liebe. Nach einer wahren Geschichte.
Ein großartiges Buch - spannend, berührend, erschreckend und doch voller Menschlichkeit. Absolut empfehlenswert für Kinder ab 13 Jahren, aber auch für Erwachsene.
Signatur: Ju 3
Schlagworte: Holocaust | Polen | Widerstand | Mut
Bewertung: +++
Rez.: Juliane Deinert

Finder, Rena u- Greene, Joshua M.: Ich überlebte. Ein Mädchen auf Schindlers Liste. Dt. von Manuela Knetsch. München: Hanser 2022. 93 S. : Ill. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-446-27238-5, geb.: 15,00 €
Jüdische Krakauerin, geboren 1929, erzählt von Verfolgung, Ghetto, Auschwitz, Rettung und appelliert zum Einsatz für andere.
„Steht für Unschuldige ein und nicht nur unbeteiligt daneben": Steven Spielberg hat vom Gewinn seines Films „Schindlers Liste" ein weltweites Projekt ermöglicht, bei dem Verfolgte interviewt wurden, darunter auch die Ich-Erzählerin Rena Finder, Jahrgang 1929 (wie Anne Frank), eine Krakauerin jüdischen Glaubens. Sie spricht die Leser direkt an, erläutert Begriffe wie NSDAP oder Untergrund, erzählt anschaulich von der Kindheit, von Nazis, die Juden alles verboten: Schule, Radfahren, Einkauf in Lebensmittelgeschäften. Das versteht jeder junge Leser. Leben im Ghetto, Angst vor Willkür-Erschießungen in Auschwitz, Hunger und Schindlers Einsatz für „seine" Juden, samt Bestechungen. Finder emigrierte in die USA und berichtete in Schulen vom Holocaust. Sie weist auch darauf hin, dass Filme ein anderes Drehbuch haben als die Realität. Dies Buch ist ein Appell. Ein ausführliches Vorwort zur Zeit und zu Rena kommt von Mirjam Zadoff, Leiterin des NS-Dokumentationszentrums München.
Die Mitgründerin von „Facing History and Ourselves" erzählt verständlich, eindringlich. 14 Abschnitte mit zwei bis sechs Seiten, geeignet für Gruppen. Sehr empfohlen, ab ca. 14.
Signatur: Ju 3
Schlagworte: Holocaust | Auschwitz | Zeitzeugin
Bewertung: +++
Rez.: Delia Ehrenheim-Schmidt

Frank, Anne: Ich heiße Anne. Tagebuch-Briefe von Anne Frank. In Einfacher Sprache. Fassung in Einfacher Sprache: Marian Hoefnagel. Dt. von Bettina Stoll. Münster: Spaß am Lesen 2021. 119 S. : Ill.; 21 cm. Aus d. Niederländ. ISBN 978-3-948856-52-6, geb.: 16,50 €
Bebilderte Tagebuch-Briefe von Anne Frank in Einfacher Sprache mit Wörterliste und weiterführendem Anhang.
„Das Hinterhaus" von Anne Frank bildet die Basis für diese wichtige Ausgabe in Einfacher Sprache. Einen Einblick in Gefühle wie Gedanken der jungen jüdischen Autorin vermittelt das Buch in knappen Sätzen. Das Tagebuch wird zur besten Freundin „Kitty", der Anne hier knappe und aussagekräftige Briefe schreibt. Diese werden durch das ausdrucksstarke Cover, die Fotos und das Hausmodell sehr sinnvoll ergänzt und regen zur intensiven Auseinandersetzung an. Die Flucht aus Deutschland, die Veränderungen in Amsterdam durch den Einmarsch der Deutschen, das alltägliche Leben im Versteck, die Hilfe durch wenige Eingeweihte, Streit und Zusammenhalt in der Familie, Verliebtheit und Lektüre - eine Vielfalt an Themen wird adressiert und gut aufbereitet angeboten, zum Verstehen und Weiterfühlen wie -denken.
In dieser Ausgabe erhalten die Leser:innen exemplarisch einen Einblick, wie „das Leben als jüdisches Mädchen im Zweiten Weltkrieg war".
Für den Einsatz in Schulen, im Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht und für Selbstleser:innen.
Signatur: Ju 3 | SL
Schlagworte: Anne Frank Shoah | Nationalsozialismus
Bewertung: +++
Rez.: Frauke Thees

Werner, Julia C.: Um 180 Grad. Stuttgart: Urachhaus 2020. 303 S. ; 21 cm. ISBN 978-3-8251-5237-6, geb.: 18,00 €
Die erste Liebe im Kontrast zum Verfall im Altenheim, verknüpft mit dem Grauen des Holocaust - berührend und einfühlsam!
So sehr mich das Buch am Anfang Geduld gekostet hat, so sehr habe ich gegen Ende Rotz und Wasser geheult! Lennard betritt das Altenheim, dessen graubraune Tristesse es wie einen Bunker wirken lässt, voll Widerwillen. Die allgegenwärtige Hinfälligkeit stößt ihn ab, er fühlt sich an diesem freudlosen Ort genauso wenig wohl wie in seinem pubertierenden Ich. Er muss für ein Jahr Sozialstunden bei der alten, schwerkranken Frau Silberstein ableisten. Einziger Lichtblick: Lea, das Mega-Mädchen, das jede zweite Woche auch da ist. Nur wegen ihr hält Lennard durch. Mit der Zeit entsteht da aber etwas zwischen ihm und dieser zer- und gebrechlichen alten Dame. Er liest ihr vor, sie erzählt ab und zu von ihren furchtbaren Erlebnissen während der Zeit im KZ. Das tiefe Grauen sitzt ihr noch heute als unbezwingbare Kälte in allen Knochen. Als Lennard an seine Grenzen kommt, fängt seine Familie ihn auf. Die zarte Liebesgeschichte zu Lea verleiht dem Geschehen immer wieder erholsame Leichtigkeit.
Auch ohne den Bezug zum Holocaust wäre dies ein wichtiges Buch zum Thema Alter, Sterben und Tod. Für Jugendliche ansprechende Sprache und Identifikationsmöglichkeiten machen es mit dem Informationsteil zum Holocaust unentbehrlich für unsere Büchereien!
Signatur: Ju 3
Schlagworte: Lebensende | Holocaust | Erste Liebe | Familie
Bewertung: +++
Rez.: Katja Henkel

Appelfeld, Aharon: Sommernächte. Roman. Dt. von Gundula Schiffer. Berlin: Rowohlt Berlin 2022. 221 S. ; 21 cm. Aus d. Hebr. ISBN 978-3-7371-0124-0, geb.: 22,00 €
Wie überlebt man den Krieg? Indem man stets in Bewegung ist und keine Angst hat.
Ein besorgter jüdischer Vater übergibt seinen Sohn in die Obhut eines blinden Landstreichers, um ihm im 2. Weltkrieg eine Chance des Überlebens zu ermöglichen. Der Landstreicher ist ein ehemaliger hochdekorierter Soldat, der sich des Jungen annimmt und diesen für das Leben auf der Straße ausbildet. Die beiden bewältigen den Alltag gemeinsam und werden ein ungemein eingespieltes Team, das sich mit den Problemen des täglichen Lebens auseinandersetzt. So der Plot.Es wäre aber kein Buch von Appelfeld, wenn es nicht zugleich eine Allegorie für das ewige Judentum wäre. Ein Volk, das immer auf der Wanderschaft, immer wehrhaft und zugleich bedroht ist. Ein Volk, das stets auch zwischen den anderen Völkern lebt. Das ist der subtile Stil des Autors. Ein bestechend intensives Buch, das zeigt, wie gewalttätig Krieg ist. Während die einen mit Waffen kämpfen, ringen die anderen um das Überleben und versuchen Hunger und Bedrohung zu bewältigen.
Bitte unbedingt anschaffen!
Signatur: SL
Schlagworte: Krieg | Judentum
Bewertung: +++
Rez.: Dirk Purz

Casadio, Paolo: Der Junge, der an das Glück glaubte. Roman. Dt. von Annette Kopetzki. Hamburg: Hoffmann & Campe 2021. 271 S. ; 21 cm. Aus d. Ital. ISBN 978-3-455-00886-9, geb.: 22,00 €
Ein Junge wächst im 2. Weltkrieg in den entlegenen toskanischen Bergen auf und gerät in eine Deportation von Juden.
Der italienische Autor erzählt vom Leben Romeo Tinis, der in einem Bahnhof in einem Tal im Apennin geboren wird, wo sein Vater als Bahnhofsvorsteher arbeitet und seine Mutter in der Schule mit 5 Schülern mithilft. Allmählich integriert sich das zugezogene Paar in die arme, auf wenige Höfe verteilte Gemeinschaft. Romeo erlebt eine glückliche Kindheit in der abgeschiedenen Gegend, in die aber doch die politischen Ereignisse der Zeit des Faschismus hereinwirken. Als ein Zug mit deportierten Juden im Dezember 1943 über Nacht an dem Bahnhof hält, lernt der Achtjährige ein gleichaltriges, ihm sympathisches jüdisches Mädchen kennen. Am nächsten Morgen gerät Romeo auf den Zug. - Liebevoll beschreibt der Autor das Aufwachsen in einer entlegenen Gegend. Die Begegnung mit verfolgten Juden konfrontiert Romeo und seine Eltern mit der inhumanen faschistischen Politik und zwingt sie, Stellung zu beziehen. Der einfühlsame Roman schildert die Dorfbewohner, die z. T. den Faschismus unterstützen, z. T. sich aber ablehnend verhalten.
Empfohlen für alle, die sich mit dem italienischen Faschismus auseinandersetzen wollen. Ein überzeugender Kindheitsroman, der breit empfohlen werden kann.
Signatur: SL
Schlagworte: Faschismus | Juden | Deportation | Italien
Bewertung: ++
Rez.: Peter Bräunlein

Goldschmidt, Georges-Arthur: Vom Nachexil. Göttingen: Wallstein 2020. 87 S. ; 21 cm. ISBN 978-3-8353-3590-5, geb.: 18,00 €
Erfahrungen eines Kindes, das von der NS-Diktatur ins Exil getrieben wurde.
„Wer einmal ins Exil getrieben wurde, kommt lebenslang nicht davon ab." So beginnt der nun hochbetagte Autor seine Reflexionen, die in diesem schmalen Bändchen vorliegen. Als Kind einer schon früh zum Protestantismus konvertierten jüdischen Familie und „Deutscher (…) bis in die heimlichsten Fasern seines Wesens" versteht er nicht, weshalb er vom Kindergottesdienst ausgeschlossen und als Jude beschimpft wird. 1938 schicken seine besorgten Eltern ihn und seinen Bruder nach Italien, von dort gelangt er kurz darauf nach Frankreich, wo er in einem Internat schnell die französische Sprache erlernt. Aber auch dort ist er nicht sicher, Bergbauern verstecken ihn und retten so sein Leben. - Dieses Buch ist nicht nur geprägt vom Leid der Verfolgung, sondern erzählt auch von der Sprache - Mittel des Ausdrucks und der Macht -, von Geschichte, Literatur, Heimat und vor allem dem Zugehörigkeitsgefühl.
Eine sehr gute Ergänzung zum Bestand an Literatur zum Exil, unter besonderer Berücksichtigung der Sprache.
Signatur: SL
Schlagworte: Antisemitismus | Exil | Heimat
Bewertung: +++
Rez.: Cornelia von Forstner

Marischa - mehr als ein Wunder. Eine Überlebensgeschichte. Aufgezeichnet u. hg. von Antje Leetz. Nach mündlichen Berichten von Maria König. Göttingen: Wallstein 2021. 165 S. : Ill. ; 22 cm. ISBN 978-3-8353-5073-1, geb.: 20,00 €
Eine unaufgeregter und dadurch ein imposanter Lebensbericht einer Holocaustüberlebenden.
Während des Lesens fragte ich mich immerzu, wie ungemein beschenkt Antje Leetz, die Interviewerin sein muss, die Maria König in ihrem Altenheim besuchen durfte und von ihr eine ganz besondere Lebensgeschichte erzählt bekam.Völlig unaufgeregt, souverän und mit tiefer Lebensfreude erfüllt erzählt die Holocaustüberlebende, wie sie ihr Schicksal erlebt und bewältigt hat, wie sie aus der Gegenwart darauf sieht und welche Schlüsse sie daraus zieht.Im hohen Alter besticht Maria König mit ihren Analysen für das heutige Leben. Diese sind praktisch-menschlich und von einer überzeugenden Sachlichkeit.Dazu gelingt es der Autorin den Lesenden eine ungemeine Dichte der jeweiligen Interviewsituationen zu vermitteln. Gerne habe ich still auf einem Stuhl im Raum dabeigesessen und gelauscht – zumindest fühlte ich mich zeitweise dazu eingeladen.
Ein Buch, das unbedingt gelesen und vorgelesen werden sollte, weil es intensiv ist und das Leben liebenswert darstellt.
Signatur: SL
Schlagworte: Holocaust | Lebensbericht | Überleben
Bewertung: +++
Rez.: Dirk Purz

Reza, Yasmina: Serge. Roman. Dt. von Frank Heibert u. Hinrich Schmidt-Henkel. München: Hanser 2022. 205 S. ; 21 cm. Aus d. Franz. ISBN 978-3-446-27292-7, geb.: 22,00 €
Die Geschwister Serge, Jean und Nana reisen auf Initiative von Serges Tochter Josephine nach Auschwitz – eine jüdische Familiengeschichte in Dialogen.
Yasmina Reza stammt selbst aus einer weitverzweigten jüdischen Familie und als Theaterautorin ist sie eine Meisterin des Dialogs. Beides ist bestimmend für ihr neues Buch über das „geschichtsvergessene (Geschwister-)Trio“ und deren Familie. Nach dem Tod der Großmutter überfällt Josephine ihren Vater mit dem Wunsch, gemeinsam nach Auschwitz zu fahren und der dort ermordeten Verwandten zu gedenken. Serge, ein nicht sehr erfolgreicher Unternehmensberater, ist froh, dass sein mittlerer Bruder Jean und seine „kleine“ Schwester bereit sind mitzufahren. Diese Fahrt wird weniger zum Anlass einer differenzierten Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur oder deren Scheitern als zum Spiegel einer Familienkonstellation, die sprachlich virtuos in Szene gesetzt ist. Im Zentrum stehen die Geschwisterbeziehungen, die voller Nähe, Erinnerungen, Wut, Enttäuschung und letztlich Zusammenhalt sind. Das alles wird mal sarkastisch, mal komisch und stets in unsere Gegenwart spiegelnder Sprache erzählt und spart auch existenzielle Fragen nicht aus. „Der Sommer enthält alle Sommer, die früheren und diejenigen, die wir nie erleben werden.“
Spritzig, entlarvend, einfach treffend erzählt. Gern empfohlen!
Signatur: SL
Schlagworte: Geschwister | Judentum | Abschied | Frankreich
Bewertung: +++
Rez.: Gabriele Kassenbrock

Kupferberg, Shelly: Isidor. Ein jüdisches Leben. Zürich: Diogenes 2022. 250 S. ; 19 cm. ISBN 978-3-257-07206-8, geb.: 24,00 €
Biografie des jüdischen Urgroßonkels der Autorin bis zu seiner Vernichtung durch die Nationalsozialisten.
Die Journalistin und Moderatorin Shelly Kupferberg erzählt in ihrem Debütroman von dem Leben ihres Urgroßonkels Dr. Isidor Geller, der unter ärmlichen Bedingungen in Galizien als Israel Geller aufwuchs, nach Matura und Jurastudium seinem Bruder nach Wien folgte und dort als Kommerzialrat und Wirtschaftsweiser zu Ansehen und viel Geld kam. Unmittelbar nach dem „Anschluss" Österreichs an das „Deutsche Reich" wurde Isidor verhaftet und so lange gefoltert, bis er der Übertragung seines Vermögens an die Nazis zustimmte. Er wurde als gebrochener Mann entlassen und starb wenige Monate später.Doch nicht nur Isidors Leben schildert die Autorin, sondern auch das der Menschen aus seiner Umgebung: seiner Geschwister, seiner Mutter, des jüdischen Schneiders und der Geliebten Isiodors, der Sängerin Ilona von Hajmassy, die in Amerika Karriere machte.Eindrücklich wird das Schicksal von Menschen jüdischen Glaubens in der Zeit des Nationalsozialismus anhand einzelner Personen beim Lesen erlebbar und ist dadurch weitaus anschaulicher als das allgemeine Wissen darüber.
Sowohl als biografisches Sachbuch als auch als Roman beeindruckend und uneingeschränkt für alle Leser*innen empfehlenswert.
Signatur: Bb | Gg
Schlagworte: Biografie | Juden | Schicksal | Nationalsozialismus
Bewertung: +++
Rez.: Gabriele Güterbock-Rottkord

Perel, Sally: Ich war Hitlerjunge Salomon. Dt. von Brigitta Restorff. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Norbert Lammert. München: Heyne 2021. 255 S. ; 21 cm. Aus d. Franz. ISBN 978-3-453-60601-2, geb.: 12,00 €
Erinnerungen des jüdischen Autors an die Zeit des Nationalsozialismus.
Erst vier Jahrzehnte nach Kriegsende schrieb Sally Perel seine Erlebnisse nieder, die 1992 erschienen und bald auch verfilmt wurden. Nun liegen sie in einer Neuausgabe vor - erweitert durch das Vorwort des Präsidenten des Deutschen Bundestages a.D. Norbert Lammert und ein Interview mit dem Autor über seine Erfahrungen bei Lesereisen, besonders in deutschen Schulen.
Das Schicksal Salomons, der als Hitlerjunge Jupp Perjell, untertauchte und sich inmitten seiner Feinde in ständiger Angst vor einer Entdeckung seiner jüdischen Herkunft befand, gleichzeitig sich intensiv mit den gegen sein Volk indoktrinierten Parolen zu beschäftigen gezwungen war, haben erneut große Aktualität und sollten – so Lammert - „zur Pflichtlektüre“ werden.
Geboren wurde Sally Perel 1925 in Peine in einem frommen Elternhaus und verbrachte eine glückliche Kindheit bis sie 1935 nach Polen flohen und bei Ausbruch des Krieges, die Eltern ihn und einen älteren Bruder weiter in die Sowjetunion schickten. Bei Minsk fiel Sally in die Hände der Wehrmacht, gab sich bei der Befragung intuitiv als Volksdeutscher aus, verneinte es, Jude zu sein. Die unglaublichen seelischen Qualen, die dann folgten, prägten sein zukünftiges Leben und machen die Lektüre nach wie vor so eindrucksvoll.
Allen Büchereien, die das Buch nicht bereits im Bestand haben, zur Anschaffung empfohlen.
Signatur: Bb
Schlagworte: Nationalsozialismus | Antisemitismus | Judentum
Bewertung: +++
Rez.: Halgard Kuhn

Schindler, Meriel: Café Schindler. Meine jüdische Familie, zwei Kriege und die Suche nach Wahrheit. Dt. von Erica Fischer. Berlin: Berlin Verl. 2022. 477 S. : Ill. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-8270-1452-8, geb.: 26,00 €
Geschichte der Familie Schindler und zugleich Geschichte der Verfolgung der Juden in Österreich im 19. und 20. Jh.
Nach dem Tod des Vaters Kurt 2017, eigentlich eine „verkrachte Existenz“, beschließt Meriel Schindler, die in London lebt, den Geheimnissen ihrer jüdischen Familie auf den Grund zu gehen. Sie geht auf Entdeckungsreise, die sie nach Österreich, Slowenien und in die USA führt. Die Recherchen beginnen im 19. Jh., die jüdische Bevölkerung wurde gleichberechtigt, die Schindlers waren erst Branntweinhersteller in Tirol, später zogen sie nach Innsbruck, besonders bekannt ist ihr Tanzcafé Schindler ab 1922, ein Haus mit Livemusik und „der Treffpunkt“. Den Schindlers gelingt es sich zu integrieren, sie gehören zur Gesellschaft. Doch damit ist es 1938 vorbei, Edith und Sohn Kurt Schindler fliehen nach London, Hugo will bleiben, doch die Nationalsozialisten prügeln Kurts Vater halb zu Tode, es gelingt ihm noch auszureisen. Andere Familienmitglieder überleben dagegen nicht. Nach dem 2. Weltkrieg gelingt es nur mit Mühen das zerbombte Kaffeehaus zurück zu bekommen, 1952 stirbt Hugo, das Café wird verkauft.
Das „Café Schindler“ ist, trotz des Themas, keine schwer verdauliche Familiengeschichte, ein Buch für den Sommerurlaub. Zugleich ein Diskussionsbuch zum Thema Antisemitismus.
Signatur: Bb
Schlagworte: Antisemitismus | Österreich | Biografie | Familiengeschichte
Bewertung: +++
Rez.: Martin Ertz-Schander