27.01. - Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Behnke, Andrea: Die Verknöpften. Ill. von Inbal Leitner. Berlin: Ariella 2021. 157 S. : Ill. ; 22 cm. ISBN 978-3-945530-33-7, geb.: 14,95 €

Die Kinder Liselotte, Minna, Leon und Hildegard erfahren 1938, wie die Judenfeindlichkeit ihr Leben verändert.

Anfangs kann nichts die Schulkinder Liselotte, Minna, Leon und Hildegard aus Bochum auseinanderbringen. Sie sind durch Freundschaftsbänder miteinander verknüpft. Eines Tages müssen die Mädchen hilflos zusehen, wie Leon von zwei Buben der Hitlerjugend mit einem Hockeyschläger verletzt wird, weil er jüdischen Glaubens ist. Auf einmal will Hildegards Mama nicht mehr, dass ihre nicht-jüdische Tochter sich mit den anderen „Verknöpften“ trifft. Minna und ihre Familie wandern aus, die jüdische Schule wird geschlossen, Liselottes Eltern werden von Nazis gequält. Nur die Lehrerin Fräulein Hirschberg erweist sich als Fels in der Brandung. – Im Nachwort erfährt man, dass die Geschichte einen wahren Kern hat, dass 1938 in Bochum wirklich die Lehrerin Else Hirsch in der jüdischen Schule unterrichtete und wo ihre Spuren hinführen. Ein Glossar erklärt jiddische Wörter und Begriffe aus dem Buch, beeindruckende Illustrationen verstärken die Wirkung des Textes. Anspruchsvoll, nötig und aufwühlend!

Das bewegende Buch für reife Kinder ab 11 Jahren sollte in Begleitung Erwachsener angeboten werden. So ist garantiert, dass niemand vom Schicksal der Protagonisten erdrückt wird.

Signatur: Ju 2
Schlagworte: Judenverfolgung | Freundschaft | Gewalt
Bewertung: +++
Rez.: Martina Mattes

 

 

Lagercrantz, Rose: Zwei von jedem. Ill. von Rebecka Lagercrantz. Dt. von Angelika Kutsch. Frankfurt am Main: Moritz 2021. 115 S. : Ill. ; 20 cm. Aus d. Schwed. ISBN 978-3-89565-419-0, geb.: 14,00 €

Berührendes Kinderbuch zu dem schwierigen Thema Holocaust eingebettet in eine Liebesgeschichte.

Rose Lagercrantz, die mehrere Bücher über jüdisches Schicksal geschrieben hat, wurde vom schwedischen Rundfunk gebeten, ein Märchen für Kinder darüber zu schreiben. Obwohl sie zunächst Zweifel hatte, ist ihr dies mit diesem kleinen Buch eindrücklich gelungen. Sie hat dafür auf die Erlebnisse in ihrer eigenen Familie zurückgegriffen und erzählt in einfacher, schnörkelloser Sprache von Eli und Luli, die sich schon als Kinder zueinander hingezogen fühlen. Sie wachsen zwar arm, aber geborgen in Siebenbürgen auf, in einer Kleinstadt mit zwei von jedem: zwei Flüssen, zwei Hauptstraßen, zwei Sprachen. Sie teilen alles, doch Luli wandert nach Amerika aus und die Herrschaft der Nationalsozialisten beginnt. Die Familie von Eli wird deportiert, nur er und sein Bruder überleben und gehen nach Schweden. Dann endlich trifft ein Brief von Luli ein!Behutsam und feinfühlig schafft es die Autorin vom Holocaust und dem Leiden der Juden zu erzählen, begleitet von zarten Aquarellen ihrer Tochter.

Ein wichtiges Buch für Erwachsene und Kinder ab 9 Jahren - durch Sprache und große Schrift für alle gleichermaßen geeignet.

Signatur: Ju 2
Schlagworte: Freundschaft | Liebe | Judenverfolgung | Holocaust
Bewertung: +++
Rez.: Gabriele Güterbock-Rottkord

Adlington, Lucy: Das rote Band der Hoffnung. Dt. von Knut Krüger. Bamberg: Magellan 2021. 334 S. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-7348-5057-8, geb.: 18,00 €

Leben in Auschwitz-Birkenau aus der Perspektive einer fiktiven 14-jährigen Ella in der Näherei.

Das hellblau-weiß-gestreifte Cover deutet die KZ-Sträflingskleidung an: Ella, gerade 14 und Jüdin, kommt ins KZ Birkenau, in die Näherei. Aus ihrem Blick entwickelt die britische Autorin nun eine Geschichte des KZ-Alltags, des Überlebenwollens, totalen Gehorsams, des Wertes von Brot, Zigaretten und Träumen. Machtgefüge, selbst unter Häftlingen, sind hier klar. Ella denkt beim Zuschneiden - für die Aufseherin und die Frau des KZ-Kommandanten - an ihre „andere Welt“, in der sie keine Nummer ist, in der Kleidung etwas bedeutet, besonders an ihre Oma, die sie schneidern lehrte. Mit Freundin Rose träumt sie von einem Modegeschäft. Die Autorin charakterisiert genau, berichtet auch vom „Warenhaus“ mit den Hinterlassenschaften der Juden und den rauchenden Schornsteinen. Auf dem „Todesmarsch“ verhindert eine Frau Ellas Tod. Eine Bäuerin rettet sie. Happy End beim Treffen mit Rose und der Schneiderei. „Inspiriert von der Geschichte der Näherinnen von Auschwitz“ sei der Roman, erklärt das Nachwort.

Gut erzählt und übersetzt. Empfohlen für sicher zumeist weibliche Leser ab etwa 16. Trotz des schwierigen Stoffs fesselnd zu lesen. 

Signatur: Ju 3
Schlagworte: Nationalsozialismus | Konzentrationslager | Birkenau | Näherei
Bewertung: ++
Rez.: Delia Ehrenheim-Schmidt

 

 

Cameron, Sharon: Das Mädchen, das ein Stück Welt rettete. Nach einer wahren Geschichte. Dt. von Katharina Förs u. Naemi Schuhmacher. Berlin: Insel 2020. 473 S. : Ill. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-458-17880-4, geb.: 18,00 €

Eine mutige junge Frau und ihre kleine Schwester retten im besetzten Polen mehreren Juden das Leben.

Die 13-jährige Stefania freut sich, endlich in die Stadt Przemyśl ziehen zu dürfen. Bei den Diamants, einer jüdischen Kaufmannsfamilie, findet sie Arbeit und ein neues Zuhause. Sie verliebt sich in Izio, einen der Söhne. Als 3 Jahre später deutsche Truppen die Stadt besetzen, verändert sich das Leben aller rasend. Izio und seine Familie werden ins Ghetto umquartiert. Stefania bleibt allein zurück. Sie bringt der Familie heimlich Lebensmittel. Izio kommt in ein Arbeitslager und wird ermordet. Zudem ist Stefanias Mutter fort. Sie nimmt ihre kleine Schwester zu sich. Als Izios Bruder Max eines Tages bei ihr auftaucht, versteckt sie ihn. Max bittet sie, nicht nur ihn, sondern auch andere Juden zu retten. Stefania wird zu einer Heldin.Sharon Camerons hervorragend geschriebene Geschichte um eine mutige junge Frau ist zutiefst berührend. Schonungslos werden hier die Gräueltaten der Nazis aufgezeigt. Zugleich geht es um beispiellosen Mut, Hoffnung und Liebe. Nach einer wahren Geschichte.

Ein großartiges Buch - spannend, berührend, erschreckend und doch voller Menschlichkeit. Absolut empfehlenswert für Kinder ab 13 Jahren, aber auch für Erwachsene. 

Signatur: Ju 3
Schlagworte: Holocaust | Polen | Widerstand | Mut
Bewertung: +++
Rez.: Juliane Deinert

 

 

Frank, Anne: Ich heiße Anne. Tagebuch-Briefe von Anne Frank. In Einfacher Sprache. Fassung in Einfacher Sprache: Marian Hoefnagel. Dt. von Bettina Stoll. Münster: Spaß am Lesen 2021. 119 S. : Ill.; 21 cm. Aus d. Niederländ. ISBN 978-3-948856-52-6, geb.: 16,50 €

Bebilderte Tagebuch-Briefe von Anne Frank in Einfacher Sprache mit Wörterliste und weiterführendem Anhang.

„Das Hinterhaus" von Anne Frank bildet die Basis für diese wichtige Ausgabe in Einfacher Sprache. Einen Einblick in Gefühle wie Gedanken der jungen jüdischen Autorin vermittelt das Buch in knappen Sätzen. Das Tagebuch wird zur besten Freundin „Kitty", der Anne hier knappe und aussagekräftige Briefe schreibt. Diese werden durch das ausdrucksstarke Cover, die Fotos und das Hausmodell sehr sinnvoll ergänzt und regen zur intensiven Auseinandersetzung an. Die Flucht aus Deutschland, die Veränderungen in Amsterdam durch den Einmarsch der Deutschen, das alltägliche Leben im Versteck, die Hilfe durch wenige Eingeweihte, Streit und Zusammenhalt in der Familie, Verliebtheit und Lektüre - eine Vielfalt an Themen wird adressiert und gut aufbereitet angeboten, zum Verstehen und Weiterfühlen wie -denken.
In dieser Ausgabe erhalten die Leser:innen exemplarisch einen Einblick, wie „das Leben als jüdisches Mädchen im Zweiten Weltkrieg war".

Für den Einsatz in Schulen, im Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht und für Selbstleser:innen.

Signatur: Ju 3 | SL
Schlagworte: Anne Frank  Shoah | Nationalsozialismus
Bewertung: +++
Rez.: Frauke Thees

 

 

Jünger, Brigitte: Der Mantel. Wien: Jungbrunnen 2019. 203 S. ; 22 cm. ISBN 978-3-7026-5932-5, geb.: 17,00 €

Die 14-jährige Französin Fanette verfolgt nahe Köln die Spuren einer jüdischen Familie in Nazi-Deutschland.

Seit Jahren ist die Pariserin Fanette mit dem betagten Aron Schatz befreundet. Er findet es gut, dass die 14-Jährige sich bei einem Schüler-Auslandsaufenthalt seine Heimat Deutschland ausgewählt hat. Fanette darf einige Wochen in der Nähe von Köln verbringen; in ihrem Gepäck hat sie einen siebzig Jahre alten Zettel, auf dem steht: „Ein schwarzer Damenmantel zur Aufbewahrung“. Sie recherchiert, findet das Kleidungsstück und trifft Leute, welche nicht nur Aron Schatz gekannt haben, sondern auch die Dame, für die der Mantel angefertigt wurde. Der alte Herr wird inzwischen von Fanettes Schulfreund Mohammed alias Moumouche betreut. Die Freundschaft zwischen dem alten jüdischen und dem jungen muslimischen Franzosen könnte fruchtbarer nicht sein. Auf ebenso kunstvolle wie einzigartige Weise werden hier anhand eines Mantels die Schicksale von Juden und Nicht-Juden in Nazi-Deutschland so erzählt, dass junge wie ältere Leser*innen gebannt in die Geschichte eintauchen werden. Prädikat besonders wertvoll!

Ein in jeder Beziehung beeindruckendes Jugendbuch, dem man viele Preise und Ehrungen wünscht. Auch als Klassenlektüre ab der 9. Klasse ein großer Gewinn.

Signatur: Ju 3
Schlagworte: Zweiter Weltkrieg | Generationen | Rassismus | Religion
Bewertung: +++
Rez.: Martina Mattes

 

 

Kaurin, Marianne: Beinahe Herbst. Dt. von Dagmar Mißfeldt. Zürich: Arctis 2019. 235 S. ; 21 cm. Aus d. Norw. ISBN 978-3-03880-031-6, geb.: 16,00 €

Eine Liebesgeschichte zu Zeiten der deutschen Besetzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg.

Der Roman spielt im 2. Weltkrieg während der Besatzungszeit Norwegens durch die Deutschen. Das ist lange her, und es gibt kaum mehr Zeitzeugen. Mal sollte daher die „Historische Notiz“ zu den Judenverfolgungen am Ende des Buches lesen, sie liefert Zahlen und Fakten. Es ist eine Geschichte von Liebe und Zufällen, wie man sie auch aus anderen Zeiten kennt, ein Wiedererkennungseffekt, der Jugendlichen die Begegnung mit der unbekannten Welt erleichtert. Stärker als auf Geschichte setzt der Roman auf dauerhafte Werte, Verantwortung, Zivilcourage, Mut, Mitleiden, und weist damit über die bloße Kriegssituation hinaus. Die großen Themen, die Heranwachsende interessieren, Selbstfindung, Selbstbehauptung, familiäre Konflikte, Suche nach Vorbildern, die große Liebe, sie alle motivieren zum stetigen Weiterlesen dieser souverän erzählten Geschichte. Ein Buch über die politisch-soziale Verantwortung von Menschen, über Unzuverlässigkeiten der Beziehungen und die Fragwürdigkeit der Weltordnung.
 
Schöne Zusatzlektüre im Fach Ethik oder im Geschichtsunterricht bei den Themen Zweiter Weltkrieg, Judenverfolgung und Widerstand.

Signatur: Ju 3
Schlagworte: Zweiter Weltkrieg | Norwegen | Widerstand | Judenverfolgung
Bewertung: +++
Rez.: Astrid van Nahl

Werner, Julia C.: Um 180 Grad. Stuttgart: Urachhaus 2020. 303 S. ; 21 cm. ISBN 978-3-8251-5237-6, geb.: 18,00 €

Die erste Liebe im Kontrast zum Verfall im Altenheim, verknüpft mit dem Grauen des Holocaust - berührend und einfühlsam!

So sehr mich das Buch am Anfang Geduld gekostet hat, so sehr habe ich gegen Ende Rotz und Wasser geheult! Lennard betritt das Altenheim, dessen graubraune Tristesse es wie einen Bunker wirken lässt, voll Widerwillen. Die allgegenwärtige Hinfälligkeit stößt ihn ab, er fühlt sich an diesem freudlosen Ort genauso wenig wohl wie in seinem pubertierenden Ich. Er muss für ein Jahr Sozialstunden bei der alten, schwerkranken Frau Silberstein ableisten. Einziger Lichtblick: Lea, das Mega-Mädchen, das jede zweite Woche auch da ist. Nur wegen ihr hält Lennard durch. Mit der Zeit entsteht da aber etwas zwischen ihm und dieser zer- und gebrechlichen alten Dame. Er liest ihr vor, sie erzählt ab und zu von ihren furchtbaren Erlebnissen während der Zeit im KZ. Das tiefe Grauen sitzt ihr noch heute als unbezwingbare Kälte in allen Knochen. Als Lennard an seine Grenzen kommt, fängt seine Familie ihn auf. Die zarte Liebesgeschichte zu Lea verleiht dem Geschehen immer wieder erholsame Leichtigkeit.

Auch ohne den Bezug zum Holocaust wäre dies ein wichtiges Buch zum Thema Alter, Sterben und Tod. Für Jugendliche ansprechende Sprache und Identifikationsmöglichkeiten machen es mit dem Informationsteil zum Holocaust unentbehrlich für unsere Büchereien!

Signatur: Ju 3
Schlagworte: Lebensende | Holocaust | Erste Liebe | Familie
Bewertung: +++
Rez.: Katja Henkel

 

Wolffsohn, Michael: Wir waren Glückskinder - trotz allem. Eine deutschjüdische Familiengeschichte. München: Dt. Taschenbuch Verl. 2021. 230 S. : Ill. ; 22 cm. ISBN 978-3-423-76331-8, geb.: 14,95 €

Thea Saalheimer und Max Wolffsohn gelingt mit ihren Familien die Flucht aus Nazi-Deutschland nach Britisch-Palästina.

Angeregt durch seinen Enkel Noah, der „mehr über Juden und Hitler wissen" wollte, erzählt Michael Wolffsohn (1947 in Tel Aviv geboren) für Jugendliche die Geschichte seiner deutsch-jüdischen Familie, die vor den Nazis nach Britisch-Palästina fliehen konnte, und damit, anders als sechs Millionen Juden, „Glück im Unglück" hatte. Thea und Max Wolffsohn kehrten später mit Sohn Michael ins Nachkriegsdeutschland zurück. Er schildert ihr Leben und seine Kindheit, spannend, berührend, auch komisch und in einer für Jugendliche leicht verständlichen Form, die manchmal allerdings etwas anbiedernd wirkt. Er spricht die Leser*innen direkt an, erklärt auch komplexe Sachverhalte verständlich, ohne Vorwissen vorauszusetzen, warnt vor Verallgemeinerungen („die Deutschen“ oder „die Juden“) und zieht immer wieder Parallelen zur aktuellen Lage in Israel und Deutschland. Der Titel ist quasi die Jugendbuchversion seines Buchs „Deutsch-jüdische Glückskinder" (2017).

Das Buch, das ein wichtiges Thema in verständlicher Form behandelt, wird für Jugendliche ab 12 Jahren empfohlen, sollte breit angeboten werden, und eignet sich auch für die Veranstaltungsarbeit.

Signatur: Jb | Gg
Schlagworte: Judenverfolgung | Geschichte | Flucht
Bewertung: +++
Rez.: Wolfgang Vetter

 

 

Druart, Ruth: Ein neuer Morgen für Samuel. Roman. Dt. von Ulrike Moreno. Köln: Lübbe 2021. 542 S. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-7857-2734-8, geb.: 22,00 €

In dem Debütroman gibt Ruth Druart mit Einzelschicksalen bewegende Einblicke in die deutsche Besatzungszeit in Paris.

Die Begebenheit scheint unbegreifbar. Ein jüdisches Paar aus Paris wird nach Auschwitz deportiert. Um ihren neugeborenen Sohn Samuel zu retten, übergibt die Frau diesen auf dem Weg einem französischen Gleisarbeiter. Mit seiner Freundin und dem Kind entschließt er sich zur Flucht in die USA. Dort geben sie das Kind als das eigene aus. Kann diese Lebenslüge tragen? Realistisch, spannend und erschütternd erzählt die Autorin die herzzerreißende Geschichte. Nach ihrem Studium der Psychologie kann sie die Entwicklung ihrer Figuren glaubhaft nacharbeiten. Sie macht die schwere Zeit nachvollziehbar, zeichnet Samuels Entwicklung realistisch nach, schildert seine Zerreißprobe zwischen den zwei Welten. Genauso überzeugend beschreibt die Autorin, wie sich beide Paare an dem Kind aufreiben, an dem Konflikt darum fast untergehen. Dennoch wird Druart manchmal etwas melodramatisch. Vielleicht ist ihr Wunsch nach Harmonie doch zu groß, um zum Schluss nicht doch in den Kitsch abzugleiten.

Ein gutes Buch, um den Lesern die Verbrechen des Nationalsozialismus nahezubringen. Es fordert außerdem zur Auseinandersetzung mit der eigenen Identität heraus und versucht eine Antwort auf die Frage, ob Herkunft oder Umfeld die Persönlichkeit bestimmen.

Signatur: SL
Schlagworte: Nationalsozialismus | Identität | Judentum | Familie
Bewertung: ++
Rez.: Ute Lawrenz

 

 

Lecoat, Jenny: Die Übersetzerin. Roman. Dt. von Anke Kreutzer. Köln: Lübbe 2021. 317 S. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-7857-2756-0, geb.: 22,00 €

Liebes- und Überlebensgeschichte der Jüdin Hedy auf den von den Nazis besetzten Kanalinseln.

Hedy wird nach der Besetzung der Kanalinseln durch die Nazis als Jüdin rumänischer Herkunft klassifiziert. Damit verschlechtert sich schnell ihre Lebenssituation.  Als die Versorgungslage immer problematischer wird, nimmt sie eine Stelle als Übersetzerin im Lager der Deutschen an, in dem Wissen: „fürs Überleben zahlt die Seele einen hohen Preis". Ausgerechnet der deutsche Oberstleutnant Kurt wirft ein Auge auf Hedy und auch die verliebt sich in ihn. Nach einer problematischen Trennungsphase besiegeln sie ihre Liebe neu und beschließen jede Gelegenheit zu nutzen, das System zu sabotieren. Der wirkliche Überlebenskampf steht beiden jedoch noch bevor.
Der Roman Jenny Lecoats ist bereits in zahlreichen Ländern erschienen und schaffte es unter die Top Ten der New York Times Bestsellerliste. Lecoats Romanvorlage ist die Geschichte Dorothea Webers, die durch die Aufnahme in der Holocaust-Gedenkstätte einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde.

Flüssig und spannend zu lesender Roman nach wahren Begebenheiten. Aufgrund der intensiven Schilderung der Lebenssituation Hedys und deren Denken und Fühlen gut  geeignet für Literaturkreise.

Signatur: SL
Schlagworte:
Überleben im Holocaust | Naziregime | Kanalinseln
Bewertung: ++
Rez.:
Christine Helming

 

Lendle, Jo: Eine Art Familie. Roman. München: Penguin 2021. 362 S. ; 22 cm. ISBN 978-3-328-60194-4, geb.: 22,00 €

Eine Wohngemeinschaft aus zwei Frauen und einem Mann hält über Jahrzehnte und entwickelt sich zu „einer Art Familie“.

In seinem neuen Roman orientiert sich der Autor an seiner eigenen Familiengeschichte. Er konfrontiert den zögerlichen Ludwig, einen erfolgreichen Pharmazieprofessor, mit dem begeisterten Nationalsozialisten Wilhelm. In Ludwigs Leipziger Wohnung leben Paula und Alma, die ihre Eltern verlor. Aus der anfangs eher zufälligen Zweckgemeinschaft entwickelt sich nach und nach eine Lebensgemeinschaft. Allerdings werden die sexuellen Erwartungen Almas von dem schüchternen Ludwig, der ganz für die Forschung lebt, enttäuscht. Während Ludwig die Nationalsozialisten ablehnt, wird seine Forschung um Giftstoffe von ihnen im Krieg benutzt. Die DDR verlassen sie, als Ludwigs Arbeit behindert wird. In Göttingen ist Ludwig ein angesehener Forscher, der nach einem langen Leben friedlich stirbt.Ein überzeugendes Porträt eines Forschers, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, aber im Alltag zu lange zögert.

Der Roman, der vom Kaiserreich über die DDR bis in die BRD reicht, verdient ein breites Publikum. Empfehlenswert.

Signatur: SL
Schlagworte: Forscher / Nationalsozialismus / Bundesrepublik / Schüchternheit
Bewertung: +++
Rez.: Peter Bräunlein

 

Marischa - mehr als ein Wunder. Eine Überlebensgeschichte. Aufgezeichnet u. hg. von Antje Leetz. Nach mündlichen Berichten von Maria König. Göttingen: Wallstein 2021. 165 S. : Ill. ; 22 cm. ISBN 978-3-8353-5073-1, geb.: 20,00 €

Eine unaufgeregter und dadurch ein imposanter Lebensbericht einer Holocaustüberlebenden.

Während des Lesens fragte ich mich immerzu, wie ungemein beschenkt Antje Leetz, die Interviewerin sein muss, die Maria König in ihrem Altenheim besuchen durfte und von ihr eine ganz besondere Lebensgeschichte erzählt bekam.Völlig unaufgeregt, souverän und mit tiefer Lebensfreude erfüllt erzählt die Holocaustüberlebende, wie sie ihr Schicksal erlebt und bewältigt hat, wie sie aus der Gegenwart darauf sieht und welche Schlüsse sie daraus zieht.Im hohen Alter besticht Maria König mit ihren Analysen für das heutige Leben. Diese sind praktisch-menschlich und von einer überzeugenden Sachlichkeit.Dazu gelingt es der Autorin den Lesenden eine ungemeine Dichte der jeweiligen Interviewsituationen zu vermitteln. Gerne habe ich still auf einem Stuhl im Raum dabeigesessen und gelauscht – zumindest fühlte ich mich zeitweise dazu eingeladen.

Ein Buch, das unbedingt gelesen und vorgelesen werden sollte, weil es intensiv ist und das Leben liebenswert darstellt.

Signatur: SL
Schlagworte: Holocaust | Lebensbericht | Überleben
Bewertung: +++
Rez.: Dirk Purz

Meyer zu Düttingdorf, Hans: Unsere Seite des Himmels. Roman. In Zusammenarbeit mit Juan Carlos Risso. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verl. 2017. 431 S. ; 21 cm. ISBN 978-3-7466-3379-4, kt.: 12,99 €

Berührender Roman über die Auswirkungen des Rassismus im Nationalsozialismus auf die Bewohner einer Kleinstadt.

Rahmenhandlung bildet die Reise der fast 100-jährigen Henriette mit ihrer Ur-Enkelin Rachel nach Deutschland. Dort muss sie sich erstmals ihrer bisher eisern verschwiegenen Vergangenheit stellen, die der Leser in Rückblenden erfährt: als Tochter einer jüdischen Familie wuchs Henriette in Küstrin auf. Ihre glückliche Kindheit war ausgefüllt mit der Freundschaft zu Charlotte, Karl und Hans, mit denen sie die "Kleeblattbande" bildete. Eindrücklich wird geschildert, wie sich langsam und schleichend die Herrschaft der Nazis und der Judenhass auf die Gesellschaft und die Freundschaft der Kinder auswirken. Henriette muss ohne ihre Eltern nach Argentinien fliehen und findet dort eine neue Heimat. Auf ihrer Reise stellt sie sich ihren Erinnerungen und macht sich auf die Suche nach Hans, ihrer ersten großen Liebe.Packend und gefühlvoll erzählter Roman mit historischem Hintergrund: empfehlenswert!

Für alle, die geschichtlich interessiert sind und für Liebhaber von Familien- und Liebesgeschichten ein fesselndes Lesefutter.

Signatur: SL
Schlagworte: Nationalsozialismus | Judenverfolgung | Freundschaft | Liebe
Bewertung: ++
Rez.: Gabriele Güterbock-Rottkord

 

 

Petrowskaja, Katja: Vielleicht Esther. Geschichten. Berlin: Suhrkamp 2017. 348 S. ; 15 cm. (suhrkamp taschenbuch 4826). ISBN 978-3-518-46826-5, geb.: 11,00 €

Fragmente eines zerbrochenen Familienmosaiks, erzählt in lapidaren Geschichten.

Den Nachfahren der Holocaust-Überlebenden fehlt es oft an Geschichten und Bildern, die ihre Vorfahren beschreiben oder zeigen. Vielleicht hat sich die Autorin - "Ich bin eher zufällig jüdisch" – deswegen auf die Reise in Richtung Warschau gemacht, Ahnenforschung zu Fuß. Die Namen überschlagen sich, schwer zu merken für den Leser/die Leserin, aber das ist auch nicht nötig: Die inneren Welten, die Gefühle der Autorin sind eindrücklich, ihre innere Reise.Aber man mag es kaum glauben: Trotz der schweren Geschichte, die sie erzählt, bleibt sie in gewisser Weise heiter - es fällt immer ein Sonnenstrahl auf das Dunkel des Erzählten. Mira z.B., die Journalistin, ist durch eine erschreckende Anzahl von Lagern gegangen. Ein Blechnapf mit Familienfotos und Papieren rettete sie  durch Vernichtungsmaschinerien hindurch – im doppelten Sinn.

Durchaus Stoff für einen Literaturkreis, ohne große Voraussetzungen sprachlicher oder historischer Art. Hohe Kunst in lesbaren Worten.

Signatur: SL
Schlagworte: Familiengeschichte | Holocaust | Biografie | Judentum
Bewertung: +++
Rez.: Volker Dettmar

 

 

Pradelski, Minka: Es wird wieder Tag. Roman. Frankfurt am Main: Frankfurter Verl. - Anst. 2020. 382 S. ; 21 cm. ISBN 978-3-627-00277-0, geb.: 24,00 €

Hoffnung auf ein neues jüdisches Leben in Deutschland nach dem Holocaust.

Die Autorin, selbst 1947 in einem Camp für „Displaced Persons“ in Deutschland geboren, erinnert an das Schicksal polnischer Juden im 2. Weltkrieg aus verschiedenen Perspektiven, besonders aber aus der Perspektive von Clara, die als 12-jährige auf sich selbst gestellt vergeblich Schutz und Herberge bei polnischen Freunden und Verwandten sucht. Sie begegnet aber offenem Hass, die vermeintlich Mitleidigen rauben sie aus und jagen sie davon. Die Autorin stellt den Polen hier kein gutes Zeugnis aus. Klara gerät in ein Lager, wo sie der besonders sadistischen Oberaufseherin „Liliput“ begegnet. Nach dem Krieg, kurz nach der Geburt ihres Sohnes Bärel in einem Frankfurter Krankenhaus, begegnet sie dieser Frau auf der Straße. Um sich vor Panikattacken zu schützen, beginnt sie auf den Rat ihres Mannes, ihre Geschichte aufzuzeichnen.  Aber es kommt auch der Säugling zu Wort, der voller Kraft in die Zukunft blickt. Er wird zum Lichtblick und Hoffnungsträger gegen die drohende Traumatisierung.
  
Auch für junge Erwachsene ist dies eine informative Lektüre, die zwar unmissverständlich, aber doch zurückhaltend über die Grausamkeiten des Antisemitismus berichtet.

Signatur: SL | Ju 3
Schlagworte: Antisemitismus | Holocaust | Traumatisierung | Hoffnung
Bewertung: ++
Rez.: Barbara von Korff-Schmising

 

 

Scheer, Regina: Gott wohnt im Wedding. Roman. München: Penguin 2019. 412 S. ; 22 cm. ISBN 978-3-328-60016-9, geb.: 24,00 €

Ein 120 Jahre altes Haus im Roten Wedding erzählt seine Geschichte und die seiner Bewohner.

Wer fast 130 Jahre auf dem Buckel hat, kann was erzählen: von der Weimarer Zeit, von den jüdischen Bewohnern, vom Widerstand gegen die Nazis im Roten Wedding. Jetzt, alt und klapprig geworden, sind es Roma, die wie Herbstlaub in Berlin auch zu DDR-Zeiten herumgeweht wurden und nun in diesem Haus im Wedding wohnen. Gertrud, fast so alt wie das Haus, fast 100, lebt seit ihrer Jugend hier, hat alles gesehen, gehört, gerochen. Leo Lehmann ist mit seiner Enkelin Nira aus Israel gekommen. Manfred, sein Freund, wurde von den Nazis in der Wohnung von Gertrud verhaftet. Eigentlich will er nicht mehr an diese Geschichte heran, aber Laila, eine Roma, die mit großem Mitgefühl für die Hausbewohner da ist, bewegt ihn dazu. Sie ist es auch, die die 70 Jahre zwischen Leo und Gertrud zusammenbindet. Sprachlich ist das Buch eine Wohltat, nicht zu leicht, nicht zu schwer, angemessen, einladend - man meint, den Geruch des Treppenhauses wahrzunehmen.

Für Literaturkreise und Einzelne, die Geschichte wahrnehmen und damit die Gegenwart deuten.

Signatur: SL
Schlagworte:
Nationalsozialismus | Sinti und Roma | Schuld | DDR
Bewertung: +++
Rez.:
Volker Dettmar

Fried, Hédi: Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden. Dt. von Susanne Dahmann. Köln: DuMont 2019. 156 S. ; 19 cm. Aus d. Schwed. ISBN 978-3-8321-8392-9, geb.: 18,00 €

Die Holocaust-Überlebende Hédi Fried legt Zeugnis ab, damit, wie sie sagt, die Geschichte sich nicht wiederholt.

Die 95jährige Hédi Fried überlebte den Holocaust und reist seit vielen Jahren durch Universitäten und Schulen, um gegen das Vergessen anzugehen und über das Grauen im Vernichtungslager Auschwitz und in Bergen-Belsen aus ihrem ganz persönlichen Erleben zu berichten. Vor dem Hintergrund von Fragen, die ihr immer wieder gestellt wurden, schreibt sie von der Deportation ihrer Familie aus ihrer Heimatstadt, dem Leben und Überleben im Lager und ihrem Leben danach als Flüchtling in Schweden. Sie erklärt, wie sie mit dem Trauma des erlebten Schreckens umgeht und welches Verhältnis sie zu Deutschland entwickelt hat. Sie nimmt Stellung zum Schicksal von Flüchtlingen heute und erläutert ihre Einstellung zu den Tätern und zu den Neonazis von heute.
Das Buch von Hédi Fried vermittelt detailreich das Wissen einer Generation gegen das Vergessen und Verdrängen und ist deshalb so ungeheuer wertvoll, weil immer weniger Menschen leben, die Zeitzeugen des Holocaust waren.

Sowohl für den einzelnen Leser als auch als Grundlage für eine Beschäftigung mit dem Holocaust in Gesprächskreisen und im Unterricht sehr geeignet.

Signatur:Gg
Schlagworte:
Holocaust | Zeitzeuge | Nationalsozialismus | Konzentrationslager
Bewertung: +++
Rez.:
Wilfried Arnold