Ukraine - Russland
Der Krieg in der Ukraine erschüttert uns tief. Man kann die Ukraine derzeit aber nicht ohne Russland denken, von dem sie angegriffen wurde. Wir haben eine Liste mit ukrainisch-russischen Geschichten zusammengestellt, die natürlich auch durch ukrainisch-russische Geschichte geprägt ist. Russische und ukrainische Autor*innen zeigen in ihren Büchern, wie sehr die Schicksale beider Länder verwoben sind und geben uns tiefere Einblicke.
Ukraine

Andruchowytsch, Juri: Moscoviada. Roman. Dt. von Sabine Stöhr. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006. 201 S.; 21 cm. Aus d. Ukrain. ISBN 978-3-518-41826-2, geb.: 22,80 €
Der ukrainische Literaturstudent Otto von F. gerät in den Moskauer Untergrund und jagt die Symbole des Sowjet-Imperiums zum Teufel.
Otto von F., Literaturstudent aus der Ukraine, erlebt an einem nassen Maitag in Moskau einen Höllentrip: Durch dumme Zufälle gerät er in die Kanalisation und fällt dort Beamten des Geheimdienstes in die Hände. Die züchten angeblich Riesen-Ratten als letzte Reserve des untergehenden Sowjet-Imperiums im Kampf gegen die Demokratie-Bewegung. Otto von F. gelingt es zu fliehen und sieht sich plötzlich den Symbolen eines menschen- verachtenden Regimes gegenüber. Popanze, gefüllt mit Sägemehl… – Mit seinem Roman Moscoviada rechnet Andruchowytsch mit dem System der imperialen Sowjetunion ab. Es ist ein politisches Buch, witzig, grotesk. Wie Otto von F. alkoholgeschwängert durch die Metropole stolpert und mit den Tücken des sozialistischen Alltags kämpft, hat schon etwas tragikomisches. Der Hintergrund ist aber ernst, und so lässt Andruchowytsch in einem karnevalesken Spektakel seinen Helden, einen zum Spitzeldienst gezwungenen Oppositionellen, am Ende die schrecklichen Gespenster einer perversen Ideologie eliminieren. Erfolgreich? Im neuen Russland sind sie wieder da: Nationalismus und Chauvinismus, Antisemitismus und autoritäre Strukturen. Alles das, was der Autor beim Verfassen des Romans 1992 überwunden glaubte. Insofern ist Andruchowytschs Buch aktueller denn je und absolut empfehlenswert.
Für Liebhaber bissiger, politischer Gesellschaftsromane.
Signatur: SL
Schlagworte: Russland | Nationalismus | Sowjetstaat
Bewertung: +++
Rez.: Michael Freitag

Bronsky, Alina: Baba Dunjas letzte Liebe. Ungekürzte Lesung. Gelesen von Sophie Rois. Bochum: Roof Music 2015. 4 CDs ; 273 Min. ISBN 978-3-86484-301-3, : 19,99 €
Baba Dunja lebt in Tschernowo, einem Ort, der nach der Tschernobyl-Katastrophe in der sogenannten Todeszone liegt.
Freiwillig ist die ehemalige Krankenschwester Baba Dunja nach der Evakuierung in ihr verseuchtes Heimatdorf zurückgekehrt. Einige alte Dorfbewohner sind ihr gefolgt. Das selbstbestimmte Leben in dörflicher Gemeinschaft ist ihnen lieber als die soziale Isolierung in einer städtischen Plattenbau-Wohnung. Baba Dunja lässt uns in einem unentwegten Rede- und Gedankenstrom teilnehmen an allem, was ihr aus Gegenwart und Vergangenheit durch den Kopf geht. Oft denkt sie an ihre Tochter, die als Chirurgin in Deutschland lebt, und an die Enkelin Laura, von der sie nur ein paar Fotos hat. Manchmal spricht Baba Dunja auch mit den Toten. Sie ist eine starke Frau ohne Illusionen mit einer beeindruckenden Herzenswärme. Vom Leben hat sie gelernt, vor nichts mehr Angst zu haben, und das gibt ihr eine große Freiheit. Ein etwas überraschender Verlauf, der Baba Dunja in Haft bringt, tut der Erzählung von Menschlichkeit und Würde vor dem Hintergrund schrecklicher Katastrophen keinen Abbruch. (Ausgezeichnet mit dem Deutschen Hörbuchpreis 2016 in der Sparte: Beste Interpretin.)
Sophie Rois gelingt es mit stimmlichem Einfühlungsvermögen, sowohl das Humorvolle als auch das Angedeutete und Ungesagte hörbar zu machen. Ein beeindruckender Hörgenuss.
Signatur: SL
Schlagworte: Umweltkatastrophe | Menschenwürde | Alter | Atomkraft
Bewertung: +++
Rez.: Heidrun Martini

Mühling, Jens: Schwarze Erde. Eine Reise durch die Ukraine. Reinbek: Rowohlt 2016. 286 S. ; 22 cm. ISBN 978-3-498-04534-0, geb.: 19,95 €
Politik, Geschichte, Gespräche mit der Bevölkerung an vielen Reiseorten: Ein Bild der Ukraine zwischen Polen und Russland.
Ein junges Land, in dem die Bahnlinien älter sind als die Grenzen, mit einem Vielvölkergemisch, das nun wieder im Umbruch ist: Ein Journalist mit Osteuropa-Erfahrung erzählt über die bereisten Orte, die Gespräche mit der Bevölkerung, recherchierte geschichtliche Hintergründe, Geschichten und Eindrücke – anspruchsvoll, faktenreich und deshalb für ungeübte LeserInnen nicht immer einfach. Dem Bericht zum Mord am ukrainischen Widerstandskämpfer Bandera 1957 folgt ein Gespräch in Lwiw mit einem 90-jährigen Galizier, der der Bandera-Bewegung angehörte. Er erzählt vom Rassenkundler Dr. Stumpp und in Tscherniwzi-Czernowitz von Paul Antschel, bekannt als Paul Celan. Er spricht mit dem Sohn eines Wolgadeutschen, der in der russischen Armee in der DDR war, dem Frontkämpfer, der die Diktatur will und jenen auf dem Maidan, die seit mehr als einem Jahr als Revolutions-Fortsetzung den Nationalpoeten rezitieren. So gelingt ein umfassendes Ukraine-Porträt, auch von Landschaften und Reiseorten (mit Landkarte).
Empfohlen für den Bereich Politik-Geschichte, einzelne Kapitel-Abschnitte auch für Gesprächsrunden – nicht als Reiseliteratur.
Signatur: Ed | Gb
Schlagworte: Ukraine | Gegenwart | Zeitgeschichte | Politik
Bewertung: ++
Rez.: Delia Ehrenheim-Schmidt

Petrowskaja, Katja: Vielleicht Esther. Geschichten. Berlin: Suhrkamp 2017. 348 S. ; 15 cm. (suhrkamp taschenbuch 4826). ISBN 978-3-518-46826-5, geb.: 11,00 €
Fragmente eines zerbrochenen Familienmosaiks, erzählt in lapidaren Geschichten.
Den Nachfahren der Holocaust-Überlebenden fehlt es oft an Geschichten und Bildern, die ihre Vorfahren beschreiben oder zeigen. Vielleicht hat sich die Autorin - "Ich bin eher zufällig jüdisch" – deswegen auf die Reise in Richtung Warschau gemacht, Ahnenforschung zu Fuß. Die Namen überschlagen sich, schwer zu merken für den Leser/die Leserin, aber das ist auch nicht nötig: Die inneren Welten, die Gefühle der Autorin sind eindrücklich, ihre innere Reise.Aber man mag es kaum glauben: Trotz der schweren Geschichte, die sie erzählt, bleibt sie in gewisser Weise heiter - es fällt immer ein Sonnenstrahl auf das Dunkel des Erzählten. Mira z.B., die Journalistin, ist durch eine erschreckende Anzahl von Lagern gegangen. Ein Blechnapf mit Familienfotos und Papieren rettete sie durch Vernichtungsmaschinerien hindurch – im doppelten Sinn.
Durchaus Stoff für einen Literaturkreis, ohne große Voraussetzungen sprachlicher oder historischer Art. Hohe Kunst in lesbaren Worten.
Signatur: SL
Schlagworte: Familiengeschichte | Holocaust | Biografie | Judentum
Bewertung: +++
Rez.: Volker Dettmar

Słoniowska, Żanna: Das Licht der Frauen. Roman. Dt. von Olaf Kühl. Zürich: Kampa 2018. 271 S. ; 19 cm. Aus d. Poln. ISBN 978-3-311-10003-4, geb.: 22,00 €
In diesem Roman wird die wechselvolle Geschichte der Stadt Lemberg mit dem Schicksal von vier Frauen verknüpft.
Vier Frauen aus vier Generationen einer polnisch-ukrainischen Familie leben in Lemberg unter einem Dach, ohne sich jedoch viel zu sagen zu haben. Jede lebt ihr eigenes Leben: die Urgroßmutter, eine verbitterte Frauen, deren Traum Sängerin zu werden sich nicht erfüllte; ihre Tochter, der sie den Traum, Malerin zu werden ausgeredete, die Ärztin wurde und einen Liebhaber der Mutter heiratete; die Enkelin, die tatsächlich Opernsängerin (und ukrainische Nationalistin) wird und die bei Protesten für die ukrainische Unabhängigkeit erschossen wird und schließlich die Urenkelin. Was die Frauen eint ist ihre künstlerische Begabung und das ausgeprägte Talent zum Unglücklichsein. Die Geschichte Lembergs bildet den Hintergrund dieses Romans und verbindet sich mit den Schicksalen der vier Frauen. Eine riesige Glasmalerei, die sich über die Etagen des Hauses erstreckt und die immer wieder Bestandteil der Geschichte ist, kann auf vielfältige Weise gedeutet werden: ein Sinnbild z. B. für das Leben der Frauen oder für die Geschichte der Stadt?
Leser*innen, die Milan Kunderas Werk zu schätzen wissen oder sich für die Ukraine interessieren, werden diesen Roman mit Gewinn lesen. Ansonsten kein Muss für die Bücherei.
Signatur: SL
Schlagworte: Ukraine | Lemberg | Generationen
Bewertung: +
Rez.: Wiebke Mandalka

Wodin, Natascha: Sie kam aus Mariupol. Reinbek: Rowohlt 2017. 363 S. 21 cm. ISBN 978-3-498-07389-3, geb.: 19,95 €
Preisgekröntes Meisterwerk über eine biografische Recherche, die bis ans Asowsche Meer führt. Nah und aufregend.
Natascha Wodin legt eine autobiografische Skizze vor, die den sparsamen weitgehend verlorenen und von bedrückenden Erinnerungen verstellten Spuren ihrer Mutter nachgeht. Eine junge Ukrainerin, die es als Zwangsarbeiterin nach Deutschland und letztendlich Leipzig verschlägt, deren Leben von Verlusten schon im revolutionären Russland, erst recht in der Sowjetunion des Großen Terrors unter Stalin zerstört wird. Vieles, was dem Kind Natascha wie Märchen aus fernen Welten erschien, entpuppt sich als Wahrheit. Wenige Tastaturklicks führen zu einem hilfreichen Gesprächspartner, der sich in den Dienst der Wahrheitssuche für die gestellt hat, die einst als griechische (oder gar italienische) Einwandererfamilien nach Mariupol kamen. In ihm findet Wodin einen kundigen Weggenossen, der sie bis zu ihrem noch lebenden Cousin zu führen vermag, dem zu danken ist, dass ein Heft voller Notizen ihrer Tante zu ihr findet. Aus all dem entsteht ein bewegendes Lebenszeugnis! Unbedingt empfehlenswert. Tief!
Für Lesekreise, Literaturgottesdienste, Büchereien.
Signatur: SL
Schlagworte: Ukraine | Mutter | Sinn | Lebenswege
Bewertung: +++
Rez.: Christiane Thiel
Russland

Bulgakow, Michael: Meister und Margarita. Roman. Neu übersetzt von Alexander Nitzberg. München: Dt. Taschenbuch Verl. 2014. 608 S. ; 18 cm . Aus d. Russ. ISBN 978-3-423-14301-1, kt.: 12,90 €
Bulgakows Meisterwerk, das Lieblingsbuch ganzer Generationen. 1999 erstmals veröffentlicht - 2014 kongenial neu übersetzt.
Ohne Frage: Michail Bulgakows Meister und Margarita ist Kult! Schon als der Roman – 26 Jahre nach dem Tod des Autors – stark zensiert erstmals in den 60er Jahren erschien, lernten viele seiner Landsleute ihn auswendig; heimlich angefertigte Kopien der herausgestrichenen Stellen kursierten und die verhexte Wohnung Nr. 50 in der Sadowaja – der zentrale Handlungsort des Romans, von dem aus der Teufel namens Woland, der Riesenkater Behemoth und viele andere die Stadt Moskau auf den Kopf stellen – wurde zur Pilgerstätte. Und bis heute ist die Zahl der Verehrer für den inzwischen in den Kanon der Weltliteratur als Geniestreich und Meisterwerk der russischen Moderne aufgenommenen Roman unendlich groß: Ob Mick Jagger, Anna Netrebko, Wladimir Kaminer, Maximilian Brückner, Alina Bronsky, Gabriel García Márquez – sie alle haben Meister und Margarita verschlungen. Kaum ein anderes Buch hat ganze Generationen so geprägt, viele der Fans sagen: bis heute.Radikal modern übersetzt Alexander Nitzberg diese aberwitzige Satire auf ein erstarrtes System und übertriebenen Atheismus. Ein Großstadtroman, magisch, verrückt und gegenwärtig. Und in eine Sprache übertragen, die vor allem eins ist: frisch und zupackend.Im Moskau der dreißiger Jahre ist der Teufel los: Ein gewisser Voland, Professor für Schwarze Magie, gibt zusammen mit seinen drei seltsamen Mitarbeitern einige Vorstellungen im Variététheater. Dabei stellt er die Moskauer Gesellschaft der Stalinzeit gründlich auf den Kopf, er foppt, blamiert und schädigt alle. Nur zwei entgehen dem Chaos: Ein gemütskranker Schriftsteller, Verfasser eines Romans über Pontius Pilatus, der sich "Meister" nennt und seine Geliebte Margarita...Hineingewoben in diese Erzählung voller satirischer Anspielungen und phantastischer Begebenheiten ist eine verfremdete Nacherzählung der Passionsgeschichte, die in verschlüsselter Form staatliche Unterdrückung und die Angst der Unterdrücker vor den Opfern enthüllt. Gott der Herr kennt die Gerechten in seiner Welt, und um sie zu retten, benutzt er ab und an den Teufel als Werkzeug, so die Aussage dieses Romans.
Der Meister und Margarita erscheint vordergründig als heitere Satire, die eine ganze Truppe teuflischer Gesellen mit schnellem Slapstick, die Verlogenheit, Trägheit, Raffgier und ähnliche Sünden bloßstellen lässt. Die eigentliche Kritik ist jedoch hinter der satirischen Oberfläche versteckt. - Bulgakows Meisterwerk ist eine auch heute noch hochpolitische Gesellschaftssatire.
Signatur: SL
Schlagworte: Satire | Gleichnis | Passion | Jesus
Bewertung: +++
Rez.: Red.

Grjasnowa, Olga: Der verlorene Sohn. Roman. Berlin: Aufbau 2020. 383 S. ; 22 cm. ISBN 978-3-351-03783-3, geb.: 22,00 €
Roman über die heutigen Probleme Russlands und ihre Ursprünge.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielt dieser brillante Roman im Kaukasus und in Russland. Die Hauptfigur ist der Sohn eines reichen und berühmten Imams. Als der Vater sein Volk nicht mehr vor der russischen Armee beschützen konnte, gab er seinen Sohn als Geisel. Von nun an wuchs dieser in Russland unter dem Schutz des Zaren auf, wurde ausgebildet und in die Gesellschaft eingeführt. Als er Jahrzehnte später zurückkehren konnte, war er in seinem Volk zu einem Fremden geworden. - Soweit der Plot des Romans. Grjasnowa zeigt meisterhaft auf dieser Folie die Ursprünge vieler Konflikte in Russland und anderswo auf. Ihre Hauptfigur wird entwurzelt, schlägt neue Wurzeln, steht zwischen zwei Religionen, zwei Armeen, ringt um die eigene Loyalität und so ganz nebenbei geht es um einen Menschen. Ein junger Mann, mit Lebenshunger, Ehrgeiz, Liebe und Ideen für sein Leben spielt quasi keine Rolle. Er ist ein Pfand, ein Aushängeschild. Niemand fragt nach ihm. Was zählt, ist seine Verfügbarkeit, sein Wert.
Für Lesende mit Interesse an Russland und interkulturellen Konflikten. Lesenswert!
Signatur: SL
Schlagworte: Russland | Geschichte | 19. Jh. | Religion
Bewertung: +++
Rez.: Dirk Purz

Jarmysch, Kira: Dafuq. Roman. Dt. von Olaf Kühl. Berlin: Rowohlt Berlin 2021. 412 S. ; 21 cm. Aus d. Russ. ISBN 978-3-7371-0140-0, geb.: 22,00 €
Neun Tage Alltag und Gemeinschaft in einer russischen Frauen-Arrestzelle.
Anja, 28 Jahre alt, wird bei einer Demonstration festgenommen und landet im Gefängnis, in einer Zelle mit fünf anderen Frauen. Am Anfang ist alles noch ein Abenteuer, nicht ganz ernst zu nehmen, dann schwankt sie immer mehr zwischen Angst – eher vor einer diffusen Bedrohung – und Rebellion. Sie lernt Frauen aus unterschiedlichsten Milieus kennen, liest, schlägt die Zeit tot und kommt ohne Smartphone nicht umhin, immer mehr über sich selbst und ihr Leben nachzudenken. Das ist spannend, interessant und humorvoll erzählt, wie hier im Brennglas einer Arrestzelle eine Bandbreite der Lebensmöglichkeiten von jungen Frauen in der gegenwärtigen russischen Gesellschaft sichtbar wird. Eingesperrt in ein starres, lebloses System, das selbst das Fahren ohne Führerschein unter Arreststrafe stellt, beweisen sie alle einen starken Überlebenswillen, auch wenn sie mit Sucht, Prostitution, Diebstahl oder Aufgabe ihrer Karriere bezahlen. Die junge Autorin weiß, wovon sie erzählt.
Sprachlich und textlich leider vor allem am Anfang oft holprig, auch grammatikalisch nicht ganz fehlerfrei. Dennoch empfohlen für am jungen Russland interessierte Leser*innen.
Signatur: SL
Schlagworte: Russland | Frauen | Identität | politische Opposition
Bewertung: +
Rez.: Angelika Barth

Ulitzkaja, Ljudmila: Jakobsleiter. Roman. Dt. von Ganna-Maria Braungardt. München: Hanser 2017. 603 S. ; 22 cm. Aus d. Russ. ISBN 978-3-446-25653-8, geb.: 26,00 €
Ein russischer Generationsroman, der uns Russland und seine Menschen näher bringt.
Schließt man am Ende den Buchdeckel, darf man sich fragen, ob es familiäre Gene der Kreativität, des Widerstands, des Querdenkens gibt? An die große russische Tradition anschließend liegt uns hier ein Familienroman der Extraklasse vor. Wer sich die Zeit nimmt ihn zu lesen, der erlebt geradezu mit, wie sich über die Generationen, die sich nicht persönlich kennengelernt haben, soziale Schemata wiederholen. Während die Enkelin die Briefe des ihr unbekannten Großvaters liest, erzählt sie gleichzeitig ihre eigene Geschichte. Als Gelegenheitsbühnenbildnerin mit einem Sohn schlägt sie sich durch ihr streckenweise chaotisches Leben. Ihr Großvater hätte es gut haben können, kritisierte aber lebenslang die Machthaber nach der russischen Revolution und verbrachte deshalb quasi sein ganzes Leben in der Verbannung. Darüber verlor er Frau und Kind, aber nicht seine unbändige Kraft. Diese gleiche Kraft demonstriert seine Enkelin eindrücklich, als ihr Sohn auf die schiefe Bahn gerät.
Ein Roman, der gleichzeitig eine soziologische Familienstudie ist. Bestens geeignet für Literaturkreise.
Signatur: SL
Schlagworte: Russland | Familie | Revolution | Generationen
Bewertung: +++
Rez.: Dirk Purz