Newsletter "Gemeinde" 06/2020

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Sicher haben auch Sie die Fernsehberichterstattungen über den brutalen Polizeieinsatz in den USA vor Augen, der zum Tod von George Floyd führte. Weltweit hat diese Tat eine Welle des Protestes gegen Rassismus und rassistisch motivierte Polizeigewalt ausgelöst. Aus diesem Anlass haben wir in unserem Rezensionspool nach Titeln gesucht, die Rassismus von ganz verschiedenen Seiten beleuchten. Wir stellen Ihnen den Roman von Olivia Wenzel, ein Jugendbuch von Shannon Dunlap, die Biografie von David Mayonga und die Comicvariante des Klassikers „Wer die Nachtigall stört“ vor. Mit diesen Lektüren lässt sich nicht nur Rassismus in den USA, sondern auch vor der eigenen Haustür analysieren.

Darüber hinaus finden Sie auf unserer Homepage eine umfangreichere Zusammenstellung von Titeln zum Thema. Lassen Sie sich anregen zu eigener Lektüre oder zum Bestandsaufbau für Ihre Bücherei.

Ihr Eliport-Team

Bewertung:
+++    = hervorragend
++      = gut
+         = möglich

Bitte beachten Sie auch unsere weiteren Serviceangebote, die Sie auf unseren Internetseiten abrufen können:
► Literaturtipps unter www.eliport.de
► Alles über den  Evangelischen Buchpreis unter www.evangelischerbuchpreis.de
► Leseförderungs- und Taufprojekt unter www.willkommeningotteswelt.de
► Schulanfängerprojekt unter www.leseningotteswelt.de
► Alle Arbeitshilfen zur Bibliotheksorganisation für Mitarbeitende unserer Büchereien unter www.buechereiservice.de

Wenzel, Olivia: 1000 Serpentinen Angst. Roman. Frankfurt am Main: Fischer 2020. 347 S. ; 21 cm. ISBN 978-3-10-397406-5, geb.: 21,00 €

Roman im Hier und Jetzt über die Rassismuserfahrungen einer jungen in der DDR geborenen person of color.

Das Buch gliedert sich in drei große Abschnitte, in denen die Ich-Erzählerin Passagen aus ihrem Leben erzählt. Teils in Dialogen, die wie Selbstgespräche anmuten, teils in gedankenstromartigen Schilderungen geht es um ihre Identität als person of color. Hin- und hergerissen zwischen der extremen Ungerechtigkeit, die sie ihrer Hautfarbe wegen täglich erfährt, und ihren unfassbaren Privilegien als deutsche Staatsbürgerin sucht sie ihren Platz in der Welt. Dabei kreisen ihre Gedanken um ihren toten Zwillingsbruder, ihre Mutter, die in der DDR und auch danach nie solche Freiheit hatte und um ihre Angststörung, mit der sie sich bei den weißen Therapeut*innen nicht gut aufgehoben fühlt.
Besonders beeindruckt hat mich die große Sensibilität der Ich-Erzählerin für den allgegenwärtigen Rassismus nicht nur an der Oberfläche. Gleichzeitig macht sie aber auch immer wieder klar, dass sie nicht nur zu den Opfern zählt, wenn sie als Deutsche zum Beispiel in Vietnam Touri-Urlaub macht.

Ein Buch, das unserem (weißen) Blick auf Rassismus eine neue Perspektive geben kann.

Signatur: SL
Schlagworte: Rassismus | Identität | Verlust | Liebe
Bewertung: +++
Rez.: Wiebke Richter

 

Dunlap, Shannon: We Will Fall. Eine Liebesgeschichte. Dt. von Henriette Zeltner. Frankfurt am Main: Sauerländer 2019. 365 S. ; 22 cm. Aus d. amerikan. Engl. ISBN 978-3-7373-5601-5, geb.: 17,00 €

Moderne Romeo-und-Julia-Geschichte vor dem Hintergrund der Black-Lives-Matter-Demonstrationen.

Als die 16-jährige Izzy mit ihrem Zwillingsbruder und ihren Eltern von der trendigen Lower East Side in einen Problembezirk von Brooklyn zieht, prallen zwei Welten aufeinander. Doch dann verliebt sich Izzy auf ihrer neuen Schule in den begabten Schachspieler Tristan, dessen Cousin Marcus der Anführer einer Gang ist ... Als Marcus sich ausgerechnet Izzy als neue Flamme aussucht, beginnen Tristan und sie ein riskantes Versteckspiel. Zunächst nimmt die Tragödie den zu erwartenden Verlauf, doch zum Ende wandelt sich die Handlung: Tristan wird nicht von der Gang getötet, sondern stirbt während einer Black-Lives-Matter-Demonstration, als ein Polizist in die Menge schießt.
Der Debütroman der in Brooklyn lebenden Autorin wird aus drei Perspektiven erzählt und lässt nicht nur die Liebenden zu Wort kommen, sondern auch Izzys Freundin Brianna, die selbst in ein Netz aus Eifersucht und Schuldgefühlen verstrickt ist. So entsteht ein intensiver Blick auf die jugendliche Gefühlswelt.

Im Unterricht als moderne Interpretation von Shakespeares Original einsetzbar, aber auch zum Thema Rassenungleichheit in den USA. 

Signatur: Ju 3
Schlagworte: Liebe | Familie | Rassismus
Bewertung: +++
Rez.: Amelie Sareika


Mayonga, David: „Ein Neger darf nicht neben mir sitzen“. Eine deutsche Geschichte. Mit Nils Frenzel. München: Komplett Media 2019. 276 S. : Ill. ; 22 cm. ISBN 978-3-8312-0485-4, kt.: 18,00 €

Ein persönlicher Bericht über Ausgrenzungen im Alltag und der Weg des Musikers damit umzugehen.

Immer wieder fühlt sich derMischling" seiner dunklen Haut wegen als Außenseiter, obwohl er in Bayern geboren wurde und dort aufwuchs, den Dialekt perfekt beherrscht. Den Kongo, aus dem der Vater kommt, kennt er nicht einmal. Doch die irritierende Situation am ersten Tag im Kindergarten der Kleinstadt, als ein Kind nicht möchte, dass einNeger" neben ihm sitzt, wiederholt sich in ähnlichen Erfahrungen im Alltag immer wieder. Das führt ihn zur intensiven Beschäftigung mit den Ursprüngen des Rassismus. Er fragt sich, was er tun kann, um seiner Umgebung die Angst vor dem Fremden zu nehmen, aber auch die Gefühle eines wegen seiner anderen Hautfarbe Ausgegrenzten zu verstehen. Eindrucksvoll beschreibt Mayonga, was ihm geholfen hat, seinen Weg zu gehen und Verletzungen durch Freundlichkeit, nicht Aggression und Verbitterung, zu begegnen.

Eine einfühlsame, nicht larmoyante Beschreibung des Musikers, die zum Umdenken anstoßen möge.

Signatur: Bb
Schlagworte: Rassismus | Fremdsein | Miteinander | Integration
Bewertung: ++
Rez.: Halgard Kuhn

Wer die Nachtigall stört.... Harper Lee. Ill und bearb. von Fred Fordham. Dt. von Claire Malignon. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verl. 2018. 272 S. : überw. Ill. ; 24 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-499-21822-4, geb.: 20,00 €

Würdige Comicadaption des großen amerikanischen Klassikers über Rassismus und soziale Ungleichheit.

Die Graphic-Novel Adaption des amerikanischen Klassikers von Harper Lee erzählt die Geschichte des Geschwisterpaares Scout und Jem im Alabama der Dreißigerjahre. Im klassischen Format eines gebundenen Romans gehalten und mit sehr schönen, detaillierten Zeichnungen versehen, erlebt man auf 300 voluminösen Seiten eine Jugend in den amerikanischen Südstaaten zur Zeit der Wirtschaftskrise. Der Clou an der Erzählung ist hierbei die Erzählperspektive der siebenjährigen Scout, die die Gesellschaft um sich herum entdeckt und zu begreifen versucht. Dabei werden Themen wie soziale Ungleichheit, Politik, Armut und die Geschlechterfrage aufgenommen. Das wichtigste, sich durch das ganze Buch ziehende Thema, ist allerdings der Rassismus innerhalb der Südstaatengesellschaft. So ist einer der Höhepunkte, der Gerichtsprozess gegen einen Afroamerikaner, den Scouts Vater Atticus vertritt. Eine würdige Comicadaptionen eines der besten amerikanischen Romane aller Zeiten.

Für junge Erwachsene und alle interessierten Erwachsenen eine schöne Ergänzung zum Roman, der in keiner Bücherei fehlen sollte.

Signatur: Ju 3 | SL
Schlagworte: Rassismus | USA | Südstaaten
Bewertung: +++
Rez.: Christian Prange