Arm und Reich

Drews, C. G.: The Boy Who Steals Houses. The Girl Who Steals His Heart. C. G. Drews. Dt. von Britta Keil. Frankfurt am Main: Fischer Sauerländer 2022. 365 S. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-7373-5943-6, geb.: 17,00 €
Herausfordender Text eines Jungen gegen Unverständnis und für ein Zuhause, mitreißend in Dunkelheit oder Hoffnung.
Eigentlich will Sam doch nur ein Zuhause für sich und seinen großen Bruder Avery, denn Avery braucht Schutz. Das bringt Sam aber immer in Schwiergkeiten und entfernt ihn auch von Avery. Braucht nicht er Hilfe, weil er immer mehr wie sein Vater wird? Trotz seiner Willensstärke erscheint die Situation oft aussichtslos. Bis er unverhofft auf Moxie trifft, ein glücklicher Tag umgeben von Familienchaos und Allbernheiten verändert sein Leben. Es lässt ihn nicht los, ein normales Leben scheint für Sam sehr nah. Doch nicht basierend auf Lügen, bald muss er sich der Vergangeheit stellen. Authentisch werden Sams Charakter und seine schwere Situation beschrieben, dadurch sieht der Leser sich zerissen zwischen Mitgefühl und Abscheu vor seinen Handlungen. Durch die Zufallsbegenung mit Moxie und Familie wird die düstere, trostlose Stimmung geschickt von einer hoffnungsvollen Spannung durchbrochen. - Das Buch hat mich zwischenzeitlich sehr aufgewühlt, ich konnte es aber nicht weglegen.
Kein Buch für schwache Nerven, aber zur Auseinandersetzung mit Gewalt und schwieriger Kindheit geeignet.
Signatur: Ju 3
Schlagworte: erste Liebe | Obdachlosigkeit | häusliche Gewalt | Familie
Bewertung: +++
Rez.: Tamara Emmerichs

Duda, Christian: Baumschläfer. Roman. Weinheim: Beltz & Gelberg 2022. 195 S. ; 21 cm. ISBN 978-3-407-75685-5, geb.: 18,00 €
Aufwühlender Jugendroman über das Leben eines Jungen, der furchtbare Erfahrungen verarbeiten muss und daran scheitert.
Der 14-jährige Marius verliert durch einen Messerangriff seine Mutter und wird selber schwer verletzt. Es folgen Heimaufenthalt, Sprachlosigkeit, innere Isolation, dann Obdachlosigkeit, Diebstahl, Hausverbote, Platzverweise, Raub. Erst in einem großen Pappkarton und schließlich in einer Eibe findet Marius Ruhe vor der Welt, die ihn nicht versteht und der er nicht vertrauen kann.
Duda hat den Roman wie eine Fallakte aufgebaut und erzählt konsequent aus der Sicht von Marius. Seine oft mit Schimpfworten gespickten Gedanken, die er nie äußert, werden schlaglichtartig im Fettdruck eingestreut und ergeben einen intensiven Einblick in seine Gefühlswelt. Dadurch erreicht der Autor, dass einem die Sehnsucht von Marius nach Geborgenheit und Verständnis und seine Verlorenheit, aber auch die Schwierigkeiten von Sozialarbeiter*innen und Polizei an ihn heranzukommen, besonders nahe gehen.
Keine leichte Lektüre, sprachlich und thematisch anspruchsvoll, hallt der Jugendroman lange nach!
Für Jugendliche frühestens ab 14 Jahren, möglichst unter Begleitung von Erwachsenen als Diskussionsgrundlage z. B. im Unterricht gut geeignet. Aber auch für Erwachsene sehr lohnenswert.
Signatur: Ju 3
Schlagworte: Familie | Obdachlosigkeit | Traumatisierung | Heimaufenthalt
Bewertung: +++
Rez.: Gabriele Güterbock-Rottkord

Raúf, Onjali Q.: Die Nachtbushelden. Dt. von Katharina Diestelmeier. Ill. von Pippa Curnick. Zürich: Atrium 2021. 316 S. : Ill. , 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-85535-656-0, geb.: 15,00 €
Erzählung von einem, der kein Mobber mehr sein will.
Hector ist zehn Jahre alt und hat vor nichts und niemandem Respekt. Er drangsaliert andere und zieht sie ab, klaut und lügt. Immerhin merkt er selbst, dass er zu weit gegangen ist, als er den Besitz eines Obdachlosen in einem See versenkt. Nach diesem Vorfall verändert sich sein Blick auf Menschen, die auf der Straße leben und auf diejenigen, die ihnen helfen, so wie seine zunächst verhasste Klassenkameradin Mei-Li, die in einer Suppenküche hilft. Am Ende hilft er spektakulär mit, ein Komplott zu entlarven, bei dem Obdachlose als Diebe kompromittiert und aus der Londoner Innenstadt vertrieben werden sollen.
Auch Onjali Q. Raúfs zweites Buch mit den Themen Mobbing und Obdachlosigkeit ist rasant, bewegend und brillant geschrieben. Geeignete Sachinformationen zu diesen Themen finden sich im Anhang des Buches. Einzige Kritik: der etwas zu „bilderbuchhafte" und pädagogisierende Wandel Hectors vom Ekel zum Helden.
Spannende, tiefgehende und sachbezogene Lektüre, die ich jeder Gemeinde und Schulbücherei gerne empfehle.
Signatur: Ju 2
Schlagworte: Mobbing | Empathie | Obdachlosigkeit | Nächstenliebe
Bewertung: ++
Rez.: Anne Rank

Nielsen, Susin: Adresse unbekannt. Dt. von Anja Herre. Stuttgart: Urachhaus 2020. 284 S. ; 21 cm. Aus d. kanad. Engl. ISBN 978-3-8251-5226-0, geb.: 17,00 €
Wie ein 12-Jähriger trotz Obdachlosigkeit und Not mit seiner Mutter und für sie das Leben meistert.
Dass der 12-jährige Felix mit der Mutter, die keinen Job findet, oft umzog, nun im alten Minibus mal hier mal da wohnt, darf niemand in der Schule erfahren; nicht sein bester Freund Dylan, nicht Winnie, die ihn irritiert und fasziniert. Niemand weiß, dass Felix‘ Mutter oft spontane, auch illegale Lösungen sucht. Felix liebt sie, umsorgt sie tapfer. Als für die TV-Frageshow „Wer, Was, Wo, Wann“ junge Kandidaten gesucht werden, bewirbt sich Felix und gewinnt. Doch das als Nothilfe erhoffte Preisgeld wird er erst bekommen, wenn er 18 ist. Eine niederschmetternde Nachricht. Felix hält nicht stand, kann nicht mehr schweigen; helfende Freunde fangen Mutter und Sohn auf. - Geschickt sind verschiedene Motive verflochten, Charaktere skizziert. Packend und anrührend erzählt die Autorin vom Alltag eines tapferen Jungen, von seiner Fürsorge für die labile Mutter, von Not und Obdachlosigkeit, lässt doch hinter allem immer wieder Humor und Situationskomik aufblitzen und erlaubt ein gutes Ende.
Obdachlosigkeit und Armut sind ein wichtiges, sperriges Thema. Spannend und mit Humor betrachtet wie hier, mag es viele Leser ab 10 anrühren, zum Nachdenken und Gespräch anregen.
Signatur: Ju 2
Schlagworte: Obdachlosigkeit | Armut
Bewertung: +++
Rez.: Heide Germann

Michaelis, Antonia: Weil wir träumten. Stuttgart: Thienemann 2022. 442 S. ; 22 cm. ISBN 978-3-522-20277-0, geb.: 18,00 €
Zwei kontrastreiche Jugendwelten treffen an einem paradiesischen Ort aufeinander.
Die 16-jährige Emma leidet an einer defekten Herzklappe. Überbehütet sehnt sie sich nach Freiheit, Liebe und der Mitte des Lebens. Zusammen mit ihrer Uroma fliegt sie nach Madagaskar, um Wale und eine paradiesische Insel zu sehen.
Dort lernt sie die gleichaltrige Fy kennen, die bereits Mutter ist, und schon bald merkt sie, dass das wahre Leben außerhalb der Ferienlodge ganz anders aussieht, als es die Touristen wahrnehmen. Zwischen den Mädchen entwickelt sich eine Freundschaft, die beiden hilft, über sich hinauszuwachsen.
Dieser Jugendroman wird offiziell ab 14 empfohlen, zeigt als Drama aber tiefe Abgründe auf. Zwangsprostitution, Armut, Hunger, Gewalt, Krankheit, Tod, Mord, Missbrauch und Kinderarbeit gehen unter die Haut, insbesondere da die Autorin selbst lange in Madagaskar lebte und sich dort in Projekten engagiert. Die intensive Geschichte berührt und beschämt, zeigt Schönheit und Grausamkeit gehüllt in zarte Sprache und spannende Erzählperspektiven zwischen Traum und Realität.
Ein sehr bewegender Jugendroman, der emotional aufwühlend das Leben zeigt und feiert. Für Leserinnen ab 15, die keine Scheu vor starken Erzählungen haben.
Signatur: Ju 3
Schlagworte: Freundschaft | Liebe | Armut | Gewalt
Bewertung: +++
Rez.: Anne Tebben

Boie, Kirsten: Gangster müssen clever sein. Ein Krimi mit echter Milliardärstochter. Ill. von Regina Kehn. Hamburg: Oetinger 2022. 316 S. : Ill. ; 22 cm. ISBN 978-3-7512-0003-5, geb.: 15,00 €
Unterhaltsamer und fesselnder Kinderkrimi, der soziale Unterschiede kindgerecht einbaut.
Eine gelungene Fortsetzung und Zusammenführung der Kinderkrimis „Der Junge, der Gedanken lesen konnte" und „Entführung mit Jagdleopard", in dem Valentin, Mesut und Jamie-Lee den Einbruch in der Milliardärsvilla von Fee Ranzmann, Jamie-Lees bester Freundin, aufklären wollen. Die vier Freunde stellen bei ihren Recherchen schnell fest, dass der Chauffeur und der Bodyguard der Familie nicht das sind, was sie vorgeben zu sein.
Diese fesselnde Detektiv- und Freundschaftsgeschichte überzeugt durch die authentische Sprache, einem kindlichen Erzählton mit eingestreuten modernen Ausdrücken, vielen einnehmenden Charakteren mit teils schrägen Besonderheiten und einfach einer packenden Handlung zum Mitfiebern und Mitraten. Freundschaft und Zusammenhalt sind dem Team wichtig, aber sie lernen auch, sich sozialen Unterschieden, familiären Problemen, kultureller Vielfalt und Armut zu stellen, denn in einer heilen Welt spielt diese Geschichte nicht. Realistisch, aber kindgerecht werden die Lebensbedingungen der vier Helden veranschaulicht und regen zum Nachdenken an.
Ein Leckerbissen mit Charme, Witz und ganz viel Spannung für Detektivliebhaber ab 10. Ein Muss für die Schulbücherei und ein Gewinn für jede Vorleserunde in Klasse 4 oder 5.
Signatur: Ju 2
Schlagworte: Kinderkrimi | Freundschaft | soziale Unterschiede | Spannung
Bewertung: +++
Rez.: Anne Tebben

Pyron, Bobbie: Solange wir zusammen sind. Dt. von Bettina Obrecht. Stuttgart: Thienemann 2020. 314 S. : Ill. ; 21 cm. ISBN 978-3-522-18549-3, geb.: 15,00 €
Die 11jährige Piper muss mit ihrer Familie in eine Notunterkunft ziehen, weil ihre Eltern Arbeit und Haus verloren haben.
In einer fremden Stadt steigt die 11-jährige Piper mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder aus dem Überlandbus. Einige Zeit ist es schon her, dass ihre Eltern Arbeit und Haus verloren haben. Seitdem haben sie versucht, an unterschiedlichen Orten Fuß zu fassen – aber bisher ohne Erfolg. In der Notunterkunft wird der Vater zunächst in einem anderen Gebäude untergebraucht als seine Frau und die Kinder. Piper macht das traurig. Sie lernt einen kleine Hund – Baby – kennen und seine obdachlose Besitzerin. Als die beiden getrennt werden, setzt Piper sich und ihre neuen Freunde in Bewegung, um den Hund und sein Frauchen wieder zusammenzubringen.
Die Geschichte spielt in den USA und es ist sicher sinnvoll, die hiesigen jungen Leser*innen bei der Lektüre zu begleiten und deutlich zu machen, dass hier nur äußerst selten Kindern Obdachlosigkeit droht. Das Buch zeigt, dass Freundschaft und Empathie für alle Menschen wichtig und auch unter schwierigen Bedingungen möglich sind.
Das Buch ist zur Anschaffung für Büchereien geeignet. Leser*innen ab 10 Jahre sind die Zielgruppe. Für die jüngeren unter ihnen ist es gut, über das Buch mit Erwachsenen zu reden.
Signatur: Ju 2
Schlagworte: Obdachlosigkeit | Freundschaft | Hunde | Engagement
Bewertung: +++
Rez.: Natascha Faull

Righetto, Matteo: Die Seele des Monte Pavione. Roman. Dt. von Bruno Genzler. München: Blessing 2019. 239 S. ; 21 cm. Aus d. Ital. ISBN 978-3-89667-616-0, geb.: 20,00 €
Spannender Roman aus der archaischen Bergwelt der Dolomiten gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Italien, gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Im Dolomitendorf Nevada leben die meisten der Einwohner vom Tabakanbau. Doch von der Ernte müssen die Bauern stets einen Teil an die Obrigkeit abtreten, so dass viele der Einwohner trotz harter Arbeit gerade das Nötigste zum Leben haben. So setzen etliche der Männer ihr Leben aufs Spiel, indem sie trotz großer Gefahren Tabak ins benachbarte Österreich schmuggeln. So auch Augusto, dessen Tabak von besonders guter Qualität und im Nachbarland gefragt ist. Als seine Tochter Jole ihr sechzehntes Lebensjahr erreicht hat, nimmt ihr Vater sie mit, um sie mit den Schmuggelrouten vertraut zu machen. Als Augusto zwei Jahre später nicht zurückkehrt, macht Jole sich allein auf den Weg - sie muss einerseits das Überleben der Familie sichern und andererseits ihren Vater finden. Dabei gerät sie mehr als einmal in Lebensgefahr. - Fast werden beim Lesen Armut und Hunger spürbar - die Wirkung von Righettos karger Prosa ist unmittelbar und bleibt lange präsent.
Breite Empfehlung für alle Büchereien!
Signatur: SL
Schlagworte: Geschichte | Armut | Italien | Schmuggel
Bewertung: +++
Rez.: Margarete Barth-Specht

Armut. Schüler fragen nach. Konzept u. Ill.: Jutta Bauer. Gestaltung: Katharina J. Haines. Hamburg: Carlsen 2017. 157 S. : Ill. ; 21 cm. ISBN 978-3-551-25116-9, kt.: 14,99 €
Warum gibt es Arme und Reiche? Sind Arme selbst schuld an ihrer Armut? Wie fühlt es sich an, reich zu sein?
Jutta Bauer hat bei Hamburger Schülern Fragen zu Armut und Reichtum gesammelt und diese Erwachsenen und Kindern aus verschiedenen Lebensbereichen zur Beantwortung vorgelegt. An kindgerechten Antworten versuchen sich u. a. Philosophen, Sozialarbeiter, Politiker verschiedener Parteien, aber auch Sportler und eine Autorin.
Weil die Positionen und Begründungszusammenhänge nebeneinander stehen, z. B. die Stimme eines ev. oder kath. Pfarrers neben der einer Muslima und einer Buddhismus-Wissenschaftlerin, ergibt sich ein vielfältiges Bild. Gerade die ehrlichen Antworten von Obdachlosen und Kindern, die diakonische Angebote in Anspruch nehmen, beleuchten die praktische Seite der Problematik eindrücklich.
Kinder und Jugendliche werden durch dieses ansprechend aufgemachte Sachbuch herausgefordert, in der herrschenden Meinungsvielfalt eine eigene Position zu suchen. Sie können z. B. den Fragenkatalog in angepasster Form für eigene Interviews verwenden und die erhaltenen Antworten vergleichen.
Für Kinder und Jugendliche ab 10 Jahren. Gut geeignet für die projektartige oder fächerübergreifende Beschäftigung mit dem Thema „arm und reich" in Schule oder Gemeinde.
Signatur: Js
Schlagworte: Arm und reich | Gesellschaft | Kinderarmut | Nächstenliebe
Bewertung: +++
Rez.: Birgit Schönfeld