Interkulturalität

Stanišić, Saša: Herkunft. München: Luchterhand 2019. 355 S. ; 22 cm. ISBN 978-3-630-87473-9, geb.: 22,00 €

Quasi ein Roadmovie des eigenen Lebens, zwischen Herkunft und Ankommen.

Wohlstands-, Wirtschafts- und Luxusflüchtlinge überfluten unser Land. Wer das immer noch glaubt, sollte diesen Roman lesen.
Wenn die Umstände das Leben so verändern, dass man das Leben ändern muss, wenn die eigene Courage, die eigene Persönlichkeit plötzlich in Frage steht, wenn also alles von einem abverlangt wird, dann sprechen wir von einem Neuanfang in einem anderen Land.
In einer so wundervollen Sprache, einem so ungemein sensiblen Erzählstil, einer so liebegefüllten Weise erzählt Stanisic aus seinem Leben, aus dem Dorf, aus dem er stammt, spricht er aus dem Leben seiner geliebten Großmutter und erzählt er aus dem Leben, das in diesem unserem Land neu starten musste.
Der Autor spricht nicht einmal „über“ das, was er erzählt. Wir begegnen hier einem Könner, der „aus“ der Erzählung spricht, der dem Leser sein Erzählen schenkt.
Darum wird hier sparsam rezensiert, weil der Leser selbst dem Erzähler zuhören soll.

Bitte unbedingt anschaffen!

Signatur: SL
Schlagworte: Familie | Flucht | Migration | Deutschland
Bewertung:
+++
Rez.: Dirk Purz

Mirza, Fatima Farheen: Worauf wir hoffen. Roman. Dt. von Sabine Hübner. München: Dt. Taschenbuch Verl. 2019. 477 S. ; 23 cm. Aus d. amerikan. Engl. ISBN 978-3-423-28176-8, geb.: 24,00 €

Kalifornien: Die Geschichte einer indisch-amerikanischen Familie muslimischen Glaubens.


Die Ehe der Eltern wurde arrangiert. Nachdem sie nach Amerika ausgewandert sind, kommen ihre drei Kinder Hadia, Huda und Amar zur Welt. Hadia liebt ihren kleinen Bruder, hadert aber mit der Ungleichbehandlung durch die Eltern. Als Mädchen ist sie in einem noch strengeren Korsett aus Erwartungen und Verboten gefangen als ihr Bruder. Sie ist eine gute Schülerin. Da sie nicht mit ihrer Familie brechen will, beschränkt sie sich auf den Weg, den ihre Eltern ihr zugestehen. Sie darf Medizin studieren und das sogar in einem anderen Ort.  Doch auch der einzige Sohn fühlt sich nicht wohl in der ihm zugewiesenen Rolle. Er zerbricht fast daran und läuft schließlich weg. Hadia wird zum Stolz der Familie. Zu ihrer Hochzeit lädt sie auch Amar ein. Die junge Autorin hat uns in ihrer berührenden Familiengeschichte tiefe Einblicke in den durch Tradition und Religion geprägten Alltag gewährt und in die Schwierigkeiten diesen mit den Werten und Normen des neuen Landes in Einklang zu bringen.

Das wunderbar geschriebene Buch mit seiner aktuellen Thematik ist sehr empfehlenswert für alle Büchereien.

Signatur: SL
Schlagworte: Familie | Tradition | Religion | USA
Bewertung:
+++
Rez.: Susanne Brenner

Castaño Mesa, Samuel: Die Uhr meines Großvaters - El reloj de mi abuelo. Ein Bilderbuch aus Kolumbien. Zweisprachig Deutsch – Spanisch. Dt. von Jochen Weber. Basel: Baobab 2019. O. Pag. : überw. Ill. ; 23 cm. Aus d. Span. ISBN 978-3-905804-91-1, geb.: 17,00 €

Ein kolumbianisches Bilderbuch erzählt, wie sehr Großvaters alte Pendeluhr in der Familie die Zeiteinteilung vorgibt.

Der Enkel erinnert sich daran, dass das Alltagsleben seiner kolumbianischen Familie dem Takt einer alten Pendeluhr, die vom Großvater regelmäßig aufgezogen wird, folgt, bis dieser eines Tages stirbt. Danach scheint die Zeit still zu stehen: Die Suppe bleibt kalt, Blumen verwelken nicht, ein Kind kommt nicht zur Welt. Die Trauer über den Verlust des Familienmitglieds verändert offenbar das Gefühl für die Zeit. Erst als der Junge im Nachlass den Pendeluhr-Schlüssel findet und diesen betätigt, beginnt ein neues Leben. Die vielseitig gestaltete Illustration besteht auf jeder Seite aus detailliert gezeichneten Menschen, Tieren und Gegenständen sowie Aquarell- und Collage-Elementen. Es gibt viel aus früherer Zeit zu entdecken, jedoch auch den Blick auf Zukünftiges frei: Kinderspielzeug und -zeichnungen.  Das Buch enthält ein Nachwort des Verfassers und Illustrators, das dessen Motivation aufdeckt, nämlich dazu anzuregen, das Verhältnis des Menschen zur Zeit zu reflektieren.

Das zweisprachig verfasste Bilderbuch wird wegen seiner interkulturellen Ausrichtung, seines schönen Textes und der anregenden Illustration für Vor- und Grundschulkinder sehr empfohlen.

Signatur: Jm 1 | Ju 1
Schlagworte: Interkulturalität | Zeit | Trauer | Kolumbien
Bewertung:
+++
Rez.: Margot Rickers

Mare Manuscha. Innenansichten aus Leben und Kultur der Sinti & Roma. Hg. von Romeo Franz u. Cornelia Wilß. Fotos von Alexander Paul Englert. Mit Beiträgen von Alfred Ulrich u.a. Frankfurt: Ed. Faust 2019. 247 S. : Ill. ; 24 cm. ISBN 978-3-945400-57-9, kt.: 28,00 €

Innenansichten aus Leben und Kultur der Sinti und Roma - in 13 Interviews.

In Mare Manuscha - auf Romanes „unsere Menschen" - erzählen Männer und Frauen aus den Bereichen  bildender Kunst,  Musik, Theater und politischer Arbeit, was es heißt, heute als Sinti und Roma in Europa zu leben. „Antiziganismus", alltägliche Diskriminierung und die Ignoranz der Mehrheitsgesellschaft gegenüber dem kulturellen Beitrag der Sinti und Roma , das Verdrängen des Völkermords zur Zeit des Nationalsozialismus, der Kampf um Teilhabe und Bildung sind nur einige Stichworte aus den Gesprächen. Selbstbewusst verweigern die Gesprächspartner die Opferrolle und zeigen stattdessen auf, welchen Reichtum sie in ihrem kulturellen Erbe sehen, bei aller Heterogenität ihrer Familientraditionen. Die berührenden Erzählungen werden durch einfühlsame fotografische Portraits, Hintergrundinformationen und Literaturverweise ergänzt. Sie machen neugierig darauf, mehr über diese Menschen zu erfahren, die seit Jahrhunderten in Europa leben und die abschätzig als „Zigeuner" ausgegrenzt werden.

Jeder Bücherei zu empfehlen, ein wahrer Augenöffner. Sinti und Roma sind mehr als ein „Problem" in unseren Städten. Weckt Sympathie und Hochachtung!

Signatur: Sb
Schlagworte: Sinti und Roma | Vorurteile | Lebensgeschichten | Kultur
Bewertung:
+++
Rez.: Regina Riepe

Crossan, Sarah u. Conaghan, Brian: Nicu & Jess. Dt. von Cordula Setsman. München: Mixtvision 2018. 300 S. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-95854-106-1, geb.: 16,90 €

Ein tragisches Liebespaar setzt sich ausdrucksstark in freier Versform über Sprachhürden hinweg.

Jess hätte Nicu, den Roma-Junge mit den großen Augen und der schlecht sitzenden Kleidung, niemals bemerkt, wäre sie nicht auch wie er wegen wiederholten Klauens zum Sozialdienst verdonnert worden. Äußerlichkeiten sind Jess wichtig, nicht zuletzt da sie selbst viel zu verbergen hat. Nicu aber findet Jess wunderbar. Nach England gekommen, um für Nicus arrangierte Hochzeit Geld zusammenzukriegen, will die Familie bald wieder fort. Nicu aber will nicht weg: Er will zur Schule, ein anständiges Leben und in London bleiben. Aber die Fäuste seines Vaters sind stärker und je näher sich Jess und Nicu kommen, desto mehr kommen beider Geheimnisse ans Licht. Den einzigen sicheren Halt geben sie einander, aber für immer zusammenbleiben können sie nicht.
Spannend ist die Sprache dieses Jugendromans. Abwechselnd aus der Perspektive der Hauptfiguren sind die Kapitel in Versform geschrieben. Während Jess trocken sarkastisch ihrer Wut freien Lauf lässt, behilft sich Nicu aufgrund seiner mangelnden Sprachkenntnisse mit Wortschöpfungen, ohne dass dabei die Figur ins Lächerliche gezogen wird.

Ein ungewöhnliches, mutiges und einfühlsames Buch für LeserInnen ab 14, die sich fragen, was Menschlichkeit bedeutet. Einsetzbar im Religions- und Ethikunterricht.

Signatur: Ju 3
Schlagworte: Menschlichkeit | Liebe | Sprache | Gewalt
Bewertung:
+++
Rez.: Anne Tebben

Kostrzewa, Anna: Nasengruß & Wangenkuss. So macht man Dinge anderswo. Anna Kostrzewa. Ill. von Inka Vigh. Frankfurt: Sauerländer 2017. O. Pag. : Ill. ; 31 cm. ISBN 978-3-7373-5483-7, geb.: 14,99 €

So macht man Dinge anderswo auf der Welt.

Dieses sowohl inhaltlich als auch gestalterisch hochwertige Buch lädt Kinder ein, die Vielfalt der Kulturen unserer Welt  kennenzulernen und dabei zu entdecken, dass diese bunt und faszinierend sind. Verschiedene Kapitel (meist auf einer Doppelseite) geben Einblicke in die Lebensweise anderer Menschen. Es geht z. B. um Gründe für Migration, um unterschiedliche Familienmodelle, um die Vielfalt unserer Gefühle, um verschiedene Esskulturen, Religionen, Feste,  Bräuche, (Körper-)Sprachen, Umgangsformen, Kinderspiele. Dabei helfen die kindgerechten Illustrationen sehr, die Erläuterungen noch besser zu verstehen. Manche Kapitel enden zudem mit Impulsen, die das Kind allein oder mit der Familie überdenken kann. Ein wichtiges Buch! Es informiert auf sehr kluge und kindgemäße Art, hilft dadurch Angst vor dem Fremden abzubauen oder im besten Fall einfach neugierig zu machen auf Unbekanntes und die spannende Vielfalt der Menschen auf dieser Erde.

Ein Plädoyer für Verständnis, Toleranz und Weltoffenheit; gegen Fremdenhass und Vorurteile. Für zu Hause , in der Gemeinde und in der Grundschule sehr zu empfehlen. 

Signatur: Je
Schlagworte: Vielfalt | Kulturen | Toleranz
Bewertung:
+++
Rez.: Petra Schulte

Himmelskönig. Nicola Davies. Ill. von Laura Carlin. Dt. von Andreas Steinhöfel. Hamburg: Aladin 2017. O. Pag. : überw. Ill. ; 24 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-8489-0133-3, geb.: 19,95 €

Wie eine Taube eine Freundschaft stiftet oder „Himmelskönig, sei willkommen".

Die Schlote rauchten, es regnete und regnete und es roch nach Hammelsuppe und Kohlenstaub. Ein fremdes Land, eine fremde Sprache und fremde Gerüche - der Junge aus dem warmen Süden fühlt sich verloren und allein. Doch mit der leise beginnenden Freundschaft mit dem alten Taubenzüchter kehrt so etwas wie Zuversicht und Zugehörigkeit in das Leben des Jungen ein, denn Tauben kennt er von daheim. Gemeinsam haben Jung und Alt ein Ziel: Die Taube „Himmelskönig" soll das wichtigste Wettfliegen durch halb Europa gewinnen. - Eine poetische Freundschaftsgeschichte von Sich-finden und Ankommen, von Hoffnung und Freude. Braun-beige Aquarell-Illustrationen fangen hervorragend die Atmosphäre dieser besonderen Bilderbuchgeschichte ein.

In Kindertagesstätten und Gemeindegruppen zum Thema Geflüchtete, Fremde und Taubenzüchtung breit einsetzbar. Empfehlenswert, nicht nur für Taubenzüchter im Ruhrgebiet.

Signatur: Jm 1
Schlagworte: Fremdsein | Heimat | Tauben
Bewertung:
+++
Rez.: Karin Steinfeld-Bartelt

Kämper, Regine: Amina, Erdal, Njami und die anderen. Geschichten aus der Deutschstunde. Ill. von Yayo Kawamura. München: Dt. Taschenbuch Verl. 2016. 76 S. : Ill. ; 22 cm. ISBN 978-3-423-64024-4, geb.: 12,95 €

Neun Kinder aus neun verschiedenen Ländern lernen bei Regine Deutsch. Die liebenswerte Lehrerin gibt im Unterricht alles.

Tatsächlich sind nur neun Kinder in der Klasse. Das ist so ungewöhnlich nicht, denn die Jungen und Mädchen haben alle eine andere Muttersprache. Nun leben sie in der Bundesrepublik, wo sie Deutsch lernen wollen. Ihre Lehrerin heißt Regine. Sie mag jeden ihrer Schützlinge gerne, egal ob er Njami, Bartek, Milan, Irina, Nadja, Erdal, Antonia, Amina oder Wowa heißt und kenianische, polnische, kroatische, russische, türkische, spanische, syrische oder ukrainische Wurzeln hat. Damit den Kindern der Sprachunterricht leicht fällt, lässt sich Regine allerhand einfallen. Sie singt, spielt, kocht und scherzt und lässt keine Gelegenheit aus, die Neun zum Reden zu animieren. Langsam wird aus der Gruppe eine kleine Gemeinschaft. Aus der Ich-Perspektive lädt die Autorin ihre Leser ein, am Unterricht teilzunehmen und sich mit ihr über die Fortschritte beim Lernen und über die Späße der Kinder zu freuen. Ein weiteres Plus ist, dass man sprachliche Fehler durch Markierungen im Text sofort erkennen kann. Prima!

Die gut gegliederte, lustig illustrierte Geschichte erfüllt alle Bedingungen für ein gutes Kinderbuch und sollte in jeder Bücherei angeboten werden. Empfohlen ab 9 J.

Signatur: Ju 2
Schlagworte: Deutsch als Fremdsprache | Migration | Schule | Interkulturalität
Bewertung:
+++
Rez.: Martina Mattes

Stern, Adriana: Und frei bist Du noch lange nicht.... Roman. Berlin: Ariella 2016. 375 S. ; 22 cm. ISBN 978-3945530-08-5, geb.: 14,95 €

Jugendliche in einem Flüchtlingsheim kämpfen gegen eine kriminelle Bande.

Spannung bis zur letzten Seite! Die dreizehnjährige Zippi aus Aserbaidschan und Saladin aus Syrien finden sich in der Trostlosigkeit eines Flüchtlingsheimes in Deutschland wieder. Quälend lang ist das Warten auf Asyl, schwierig das Finden neuer Freunde. Doch dann entdecken sie, dass ein skrupelloser Verbrecherring vielen Flüchtlingen die Pässe abgenommen hat und sie zwingt, gestohlenes Gut zu verkaufen. Auch Leandro aus Rumänien und sein kleiner Bruder sind Opfer dieses Rings geworden. Nun laufen sie Gefahr abgeschoben zu werden in das Land, in dem Vater und Schwester ermordet wurden. Zusammen mit dem deutschen Jungen Dario, der wie Zippi Jude ist, nehmen die Kinder den Kampf gegen die Verbrecher auf. Dabei wird zur Verständigung untereinander zwischen Türkisch, Englisch, Russisch und Deutsch übersetzt. Als klar wird, dass Rechtsradikale Stimmung gegen Flüchtlinge machen und der Hausmeister des Flüchtlingsheims einer von ihnen ist, eskaliert die Situation. Doch Mut und Zusammenhalt führen letztlich zum Erfolg der Kinder!

Spannendes Jugendbuch mit geflüchteten Jungen und Mädchen als Helden, die alle Unterschiede und Vorbehalte überwinden. Jeder Bücherei und jeder Schulklasse zu empfehlen!

Signatur: Ju 3
Schlagworte: Flüchtlinge | Judentum | Abenteuer | Interkulturalität
Bewertung:
+++
Rez.:Regina Riepe