Literatur und Religion

Franzen, Jonathan: Crossroads. Roman. Dt. von Bettina Abarbanell. Hamburg: Rowohlt 2021. 825 S. ; 22 cm. Aus d. Engl. ISBN 978-3-498-02008-8, geb.: 28,00 €
Die Erlebnisse einer sechsköpfigen Pastorenfamilie in den frühen 70er Jahren in einem Vorort von Chicago.
Der amerikanische Erfolgsautor erzählt in seinem Neuling von Mennoniten-Pfarrer Russ, der eine Schwarzengemeinde unterstützt und sich seit langem für eine entlegene Navajo-Gemeinde engagiert. Als ein junger Theologe in der Jugendgruppe aktiv wird, wird Russ dort hinausgedrängt. Auch in Russ‘ Familie kommt es zu Konflikten. Sein ältester Sohn will zur US-Armee nach Vietnam, sein zweitältester handelt mit Drogen und muss für eine Weile in die Psychiatrie. Seine Tochter verliebt sich in einen lokalen Musiker und bekommt ein Kind. Russ‘ Frau trauert ihrer ersten Beziehung nach. Als Russ sich mit einer Witwe einlässt, steht er bald vor einem Scherbenhaufen.
Mit leiser Ironie erzählt Franzen aus verschiedenen Perspektiven von einem Familienkonflikt vor dem Hintergrund des rebellischen Zeitgeistes. Er gibt seinen Charakteren Tiefe, die trotz ihrer Schwächen sympathisch bleiben. Der Widerspruch zwischen einem sozial engagierten Christentum und persönlichen Unzulänglichkeiten ist ein zentrales Thema.
Der Roman ist der erste Band einer Trilogie und sollte auch von kleineren Büchereien angeschafft werden. Breit empfohlen.
Signatur: SL
Schlagworte: USA | 70er Jahre | Mennoniten | Pastorenfamilie
Bewertung: +++
Rez.: Peter Bräunlein

De Luca, Erri: Den Himmel finden. Roman. Dt. von Annette Kopetzki. Berlin: List 2018. 190 S. ; 20 cm.
Aus d. Ital. ISBN 978-3-471-35171-0, geb.: 17,00 €
Die Restauration einer Figur des Gekreuzigten wird für einen Bildhauer zur handwerklichen wie geistigen Herausforderung.
Ein Mann verlässt sein altes Leben in einem Bergdorf an der italienischen Grenze. Durch einen Priester wird ihm, der sich mit kleinen Schnitzarbeiten über Wasser hielt, ein delikater Auftrag angeboten. Bei einer Christusfigur, ursprünglich nackt geschaffen, wurde durch spätere Bearbeiter die als obszön empfundene Blöße des Gekreuzigten bedeckt. Der Mann soll nun die Figur zu ihrer ursprünglichen Gestalt zurückführen.
Er ringt um den richtigen Weg, dies zu tun. Gespräche mit dem Priester, mit einem Rabbi und einem muslimischen Arbeiter begleiten den Prozess. Das Be-Greifen und Ent-Decken der Skulptur führt zu eindrücklichen Erfahrungen. Durch extreme körperliche Annäherung sucht der Mann eine geistige Nähe zu dem am Kreuz sterbenden Jesus.
Erri De Luca erzählt leise, aber sehr dicht und vor allem sehr sinnlich von dem, was den namenlosen Protagonisten bewegt. Mit dem Blick eines Bildhauers nimmt dieser seine Umwelt in ihren Strukturen wahr, analysiert sie und macht sie sich zu eigen.
Wie Religion in der Welt verankert ist, ist ein zentrales Thema des Romans. Ein Buch, das trotz seiner Kürze sorgfältig und langsam gelesen werden will.
Signatur: SL
Schlagworte: Christusfigur | Italien | Bildhauer
Bewertung: +++
Rez.: Birgit Schönfeld