Literaturgottesdienst
Autor:innen: Pfarrer Christian Eckey, Katja Henkel, Bettina Schneider
Volker Surmann: Leon Hertz und die Sache mit der Traurigkeit. München: Mixtvision 2024. ISBN 978-3-95854-211-2. 16,00 €
Bei Verwendung der Vignetten immer den ©-Vermerk (Illustrationen © Tine Schulz aus dem Buch „Leon Hertz und die Sache mit der Traurigkeit“, Mixtvision 2024) verwenden!
Eröffnung und Anrufung
Musik zum Eingang Du bist ein Gott, der mich anschaut (freiTöne 1)
Begrüßung
- mit Hinweis auf die besondere Prägung und Gestaltung des Gottesdienstes
- Benennung der Mitwirkenden
- Benennung des Buches, das eine besondere Rolle spielen soll.
Lied Du siehst mich (freiTöne 47)
Begrüßung durch Leon
Begrüßung durch Leon
Leon: Hi. Cool, dass ihr alle hier seid.
Zuerst möchte ich mich mal kurz vorstellen. Damit ihr wisst, um wen bzw. um was es in diesem Gottesdienst eigentlich geht.
Ich bin Leon, hallo. Und eigentlich bin ich ganz normal. Ich bin ganz normale fast 14, bin ein ganz normales Einzelkind, lebe in Berlin bei meiner Mutter, die ist auch ganz normal, mein Vater kann mich mal, und ich gehe in eine ganz normale Schule. Da sag ich nicht viel.
Aber so ganz kommt man da ja leider nicht drumherum. (Vignette S. 5) Ich musste z.B. letztens ein Referat zum Thema “Tod und Trauer” halten, und da hab ich mich für “Das Holzkreuz an der Ampel” entschieden. Auf meinem Weg zur Schule komm ich nämlich immer an so nem Kreuz vorbei, das an einen Radfahrer erinnert, der da vor ein paar Jahren von nem Lkw umgenietet wurde und gestorben ist. Der war erst 23. Also, der Radfahrer. An dem Kreuz stehen auch immer Blumen und so’n rotes Grablicht. Und irgendwas hat das mit mir gemacht, erstrecht, als ich gesehen hab, dass der Lukas, so hieß der Radfahrer, an meinem Geburtstag gestorben ist. Voll komisches Gefühl, irgendwie.
Das Referat ging allerdings komplett in die Hose. Am Thema vorbei, meinte meine Lehrerin. Also, sie hat schon recht irgendwie. Ich hab nur schnell gegoogelt und dann mehr erzählt, was mit einem Kopf passiert, wenn er unter die Räder von nem tonnenschweren Lkw gerät, als darüber, warum da diese Kerze brennt und Blumen stehen. Wer das nach Jahren immer noch macht, für diesen Lukas. Das hätte ich ja umständlich recherchieren müssen. (Vignette S. 175) Aber ich hab die Chance bekommen, das Referat nochmal zu halten, und diesmal hab ich mir Mühe gegeben und richtig viel rausgefunden und Menschen getroffen, die mit der Sache zu tun hatten. Und immer noch haben. Ganz schön crazy.
Aber nebenbei ist auch noch eine Menge anderes passiert. In meinem Leben und um mich herum. Und gerade steht auch wieder eine Veränderung an, die mich total fertig macht. Und um das alles solls heute gehen, in diesem Gottesdienst, den wir...
(blickt zur/zum Pfarrer:in) ...äh... Können Sie jetzt übernehmen?
Eingangsvotum durch Pfarrer:in
Eingangsgebet Psalm 139
Lied Du bist da, du bist da (freiTöne 91)
Vorstellung Rouven und Edda
Vorstellung Rouven
(Vignette S. 89)
Ich bin Rouven, hi. Als Leon sein Referat nochmal neu machen sollte, hat er mich gefragt, ob ich ihm helfen kann. Gerne! Ich hatte nämlich schon immer gedacht, dass ich Leon echt nett finde und dass uns was verbindet – und wenn es nur unsere Depressionen sind. Außerdem sind wir beide ziemliche Außenseiter in unserer Klasse, auch so’ne Gemeinsamkeit. Mittlerweile sind wir richtig gut miteinander befreundet. Wir merken, wenn es dem anderen nicht gutgeht, und haben uns versprochen, immer aufeinander aufzupassen. Das Leben kann nämlich echt scheiße sein! Ich wurde zum Beispiel in der Schule übel gemobbt, und keinen hat’s interessiert. Mir ging‘s richtig dreckig, und alle haben weggeschaut oder sogar mitgemacht. Nur Leon nicht. Und Edda, die hat ihm wohl sogar gesteckt, was los ist. Was Leon dann für mich getan hat, war einfach mega. Da hätte er leicht das nächste Mobbing-Opfer werden können. Und das, obwohl das mit unserer Freundschaft zu Anfang alles andere als einfach war. Ich bin schwul. Leon nicht. Und ich war glaub ich echt ein bisschen verknallt in ihn…
Vorstellung Edda
(Vignette S. 35)
Ähm, hi – ich bin Edda, Leons Freundin. Ich fand Leon schon längere Zeit gut. Und er mich auch. Er ist immer voll süß rot geworden, wenn ich ihn angeguckt habe! Er ist halt nicht so einer von den angeblich coolen Jungs, die immer große Klappe haben und sich megatoll vorkommen. Er ist still und zurückhaltend und hat es nicht leicht in unserer Klasse. Er gehört nicht so richtig dazu. Genau wie Rouven. Ich fand das voll cool, dass die beiden sich durch das Referat angefreundet haben! Deshalb hab ich Leon auch angesprochen, als ich mitbekommen habe, wie heftig die anderen Rouven gemobbt haben. Das war wirklich, wirklich übel. Aber durch seine Aktion hat Leon dann hoffentlich ein paar Leute mal zum Nachdenken gebracht. Ich habe ihm jedenfalls gesagt, dass ich das super von ihm fand, und... Ja, seitdem sind wir jetzt zusammen. Voll schön. Eigentlich... Denn ausgerechnet jetzt diese Scheiße mit dem Umzug! Gestern hab ichs Leon erzählt. Der war sowas von fertig. Wir haben den ganzen Nachmittag geheult. Mal schauen, wie es ihm heute geht. Wir sind gleich verabredet.
Lied Meine engen Grenzen (EG 600)
Trialog zwischen Leon, Rouven und Edda über die Geschichte
(Vignette S. 69)
Leon sitzt weinend auf einer Bank.
Rouven kommt dazu.
Rouven: He Leon! Was ist los? Ist was passiert?
Leon: Ach, hi, Rouven. Ja, scheiße is.
Rouven: (setzt sich neben Leon) Los, spucks aus. Warum bist du so fertig?
Leon: (guckt Rouven an) Edda zieht weg.
Rouven: Neiiiin!!! Echt jetzt? Warum? Und wohin?
Leon: Nach Hamburg. Ihre Mutter hat da einen neuen Job an der Uni. Edda hat es mir gestern erzählt.
Rouven: Oh, Mann. Das ist wirklich übel.
Leon: (fängt heftig an zu schluchzen)
Rouven: Hey... (nimmt Leons Hand)
Leon: (weint nach und nach weniger; schaut erst auf die verschränkten Hände, dann zu Rouven) Das hast du schon mal gemacht.
(Vignette S. 27)
Rouven: Was?
Leon: Meine Hand nehmen. Damals, als wir wegen dem Referat auf dem Friedhof waren und ich auf einmal auch so heulen musste.
Rouven: Stimmt... Aber diesmal rennst du nicht weg, oder?
Leon: Nein, diesmal nicht. Aber du weißt ja, dass ich damals total überfordert mit der Situation war. Ich wusste da ja noch nicht, dass du schwul bist. Und als du dann auch noch quasi zugegeben hast, dass du in mich verknallt bist, da war bei mir echt Ende. Das war ein bisschen viel auf einmal. Da blieb nur die Flucht.
Rouven: Ja, die ganze Situation war irgendwie uncool... Aber umso cooler, dass wir das trotzdem hinbekommen haben mit unserer Freundschaft. Reden hilft halt doch.
Leon: Ja, reden hilft. Aber weißt du was, Rouven?
Rouven: (schaut Leon an) Hm?
(Vignette S. 212)
Leon: Händchen halten hilft auch!
beide: (lachen)
Leon: (wischt sich die Tränen ab) Das ist einfach ein gutes Gefühl, wenn man traurig ist, und jemand einem so zeigt: Hey, ich bin für dich da. Da braucht es dann gar keine Worte. Irgendwie beneide ich die Mädchen darum, dass es bei denen ganz normal ist, Hand in Hand zu laufen, auch wenn man nicht verliebt ineinander ist.
Edda kommt auf die beiden zu.
Rouven: (lässt Leons Hand los) Ach, guck mal, wer da kommt!
Leon: (sieht zu Edda) Edda. Ja, wir waren hier jetzt verabredet.
Rouven: Ah, okay. Soll ich abhauen?
Leon: Quatsch, bleib hier!
L./R.: (zu Edda) Hi, Edda!
Edda: Na, ihr beiden Turteltäubchen?!
Rouven: Haha... (ironisch)
Leon: (umarmt Edda)
Edda: (setzt sich neben Leon, schaut ihn an) Alles gut? Du siehst aus, als ob du geweint hast...
(Vignette S. 75)
Leon: Ja, als ich Rouven erzählt hab, dass du nach Hamburg ziehst, ist die große Traurigkeit dann doch wieder aus mir rausgeschwappt.
Edda: (guckt in der Kirche umher) Und dass das alle hier sehen konnten, das war dir nicht unangenehm oder so?
Leon: Doch, unangenehm schon, irgendwie. Aber ich schäme mich nicht mehr dafür, wenn ich weinen muss. Und es dürfen auch ruhig alle sehen.
Edda: Das ist echt seit deiner Aktion vor der ganzen Klasse so, oder? Als du nach deinem zweiten Referat allen die Meinung gegeigt hast, dass das mit dem Mobbing an Rouven mehr als scheiße ist.
Rouven: (grinst, macht eine große Geste) Seit deiner flammenden Rede für unsere Freundschaft!
Leon: (lacht) Ja, meine flammende Rede, die ich mit meinem eigenen Rotz und Wasser auch gleich gelöscht habe... Aber in dem Moment konnte ich einfach gar nicht anders, das musste unbedingt alles aus mir raus. Nicht nur die Tränen, wie so oft, Depri halt, sondern auch die Tatsache, dass du jetzt mein Freund warst und dass ich es richtig, richtig schlimm fand, wie sie dich gemobbt haben. (Vignette S. 180) Das ging echt zu weit! Dir zum Schluss sogar in deine DocMartens zu pissen! Da werd ich immer noch stinksauer, wenn ich dran denke!
Edda: Die wussten halt ganz genau, wie sie dich am meisten treffen konnten, Rouven!
Rouven: (nickt)
Edda: Ich habe dir das ja schon gesagt, Leon, aber ich fand das echt mega von dir, wie du vor der ganzen Klasse für Rouven eingestanden bist. Das war krass mutig!
Leon: In dem Moment kam ich mir allerdings so gar nicht mutig vor, eigentlich sogar ziemlich jämmerlich...
(Vignette S. 196)
Rouven: Trotzdem hast du deinem Namen alle Ehre gemacht, Leon, und für mich gekämpft wie ein Löwe! Als ich davon erfahren habe, war ich echt total von den Socken. Das tat sooo gut, zu wissen, da ist einer, dem bist du nicht egal. Der macht sich für dich stark. Hammergefühl, echt!
Leon: Hm. Irgendwie konnte ich wie gesagt gar nicht anders... Aber mal ganz im Ernst, Edda: Wenn du mich nicht drauf aufmerksam gemacht hättest, hätte ich glaube ich gar nicht mitbekommen, was da an Mobbing abging.
Edda: Na ja, dir war ja schon was aufgefallen. Weil du jemand bist, der hinschaut und nicht wie die meisten anderen wegguckt. Und als du dann wusstest, was für ein krasser Scheiß da gelaufen war, da warst du ja sofort für Rouven da und hast nachgehakt, wie es ihm geht und dich echt gekümmert.
Rouven: Das ist schon ganz schön wichtig, dass man gut hinschaut, wie es den anderen geht. Und gerade sehe ich, dass es euch beiden nicht gutgeht mit deinem Umzug, Edda. Das ist aber auch ein Scheiß! Wann geht es los?
Edda: Zum Wintersemester fängt meine Mutter an, also zum 1. Oktober. Erstmal wird sie zwar pendeln, aber sobald unsere Wohnung in Hamburg fertig renoviert ist, ziehen wir alle da hin. Spätestens Anfang November.
Rouven: Das ist echt fies, dass man als Kind einfach das machen muss, was die Eltern sich Tolles ausdenken.
Edda: Ich bin auch echt sauer. Ich hab meinen Eltern schon vorgeschlagen, sie könnten sich doch auch einfach trennen und ich bleib mit Papa in Berlin. Fanden sie nicht so witzig...
Rouven: Ich kann mir vorstellen, wie scheiße das für euch beiden ist... Aber wenigstens darf man mit 14 ja schon alleine verreisen. Das erlauben euch eure Eltern ja hoffentlich, dass ihr euch gegenseitig besucht!
Edda: Na, hoffentlich! Und zum Glück braucht der ICE nicht mal 2 Stunden. Und weißt du was, Rouven? Ich bin richtig froh, dass Leon dich hat. Du passt gut auf ihn auf, ja?
Rouven: Ehrensache!
Lied Da wohnt ein Sehnen tief in uns (freiTöne 25)
Predigt
Das ist schon traurig. Die Sache mit Leon und Edda.
Wie sehr hätte ich den beiden ein Happy-End gewünscht!
Aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert.
Da gibt es immer wieder Dinge, die dich fertigmachen, die dir einen Tiefschlag verpassen.
Und manchmal haben diese Dinge auch ein Gesicht:
Ein Mensch, der dich blöd behandelt, Mitschüler, die dich mobben, Leute, die dich stressen.
Das ist manchmal schon zum Heulen. Und Tränen dürfen auch sein, wenn es mir schlecht geht.
Da muss ich nicht den Macker oder die „Mackerin“ raushängen lassen.
Wie gut, wenn dann jemand da ist, der mich kennt und der mich versteht.
Jemand, vor dem ich meine Tränen nicht verstecken muss.
Jemand, der einfach meine Hand nimmt, ohne viel zu labern, der einfach nur spürbar da ist.
Wie Rouven.
Mag sein, dass das Händchenhalten für Jungs schwerer auszuhalten ist, als für Mädchen.
Es ist auch für viele Männer schwerer auszuhalten als für viele Frauen. Warum eigentlich?
Weil Händchenhalten voll schwul ist? Blödsinn!
Und andere lächerlich zu machen oder als schwach aussehen zu lassen, das ist männlich?
Auch Blödsinn!
Ein Zeichen von Stärke wäre im Gegenteil, sich für die einzusetzen, die von anderen fertig gemacht werden. So wie es Leon für Rouven getan hat.
Da hat er wirklich sein Löwenherz gezeigt!
Hinzuschauen, wie es anderen geht, das hat uns Edda gezeigt.
Sie hat gut beobachtet, sie hat auch ein gutes Gespür für das gezeigt, was man tun muss.
Und sie hat auch den Mut gehabt, ihre Beobachtungen mit anderen zu teilen, z.B. mit denen, die vielleicht keine so gute „Sensorik“ haben.
Hinschauen, einstehen und auch die Hand halten – das alles finden wir in vielen Jesus Geschichten in der Bibel.
Menschen, die mit ihm in Kontakt gekommen sind, haben erlebt, dass er sie gesehen hat, vor allem, wenn sie traurig waren.
Sie haben erlebt, dass er sich für sie eingesetzt hat, auch wenn er dafür mit anderen aneinander geraten ist.
Und sie haben erlebt, was menschliche Nähe und Wärmealles verändern konnte, wenn er sie bei der Hand nahm.
Auch wenn wir nicht Jesus sind – hinschauen, füreinander einstehen und trösten können wir alle.
Das haben uns Leon, Rouven und Edda gezeigt.
Und das können wir auch – da bin ich mir sicher.
Gott schenke uns dafür seinen Geist.
Amen
Lied Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt (freiTöne 71)
Abkündigungen/Fürbitte/Ausgang
Kanzelabkündigungen
Lied Du bist mein Zufluchtsort (freiTöne 50)
Fürbitte
Gott, Du siehst mich!
Du kennst mich innen und außen.
Das ist größer als ich denken kann.
Aus der Übertragung von Psalm 139
Gib uns auch Menschen an unserer Seite, die auf uns schauen und erkennen, was uns ausmacht. Lass uns spüren, dass da jemand ist, der für uns da ist.
Hilf uns, Verborgenes wahrzunehmen, wenn ein Mensch in unserem Umfeld sich zurückzieht. Vielleicht braucht er gerade jetzt unsere Unterstützung und Freundschaft.
Gib uns die Kraft für andere einzustehen, auch wenn wir damit alleine sind.
Schenke uns einen klaren Blick aus unseren eigenen Augen und lass uns nicht blind den Sichtweisen anderer folgen.
Lass uns Deine Nähe erkennen, Gott, in der Freundschaft, in der Familie, im Umgang miteinander.
Amen
Vater unser (gesungen) Bist zu uns wie ein Vater (freiTöne 165)
Lied Mögen sich die Wege vor deinen Füßen ebnen (Lieder zwischen Himmel und Erde 88)
Segen
Musik zum Ausgang Möge die Straße uns zusammenführen (Lieder zwischen Himmel und Erde 89)