"Was liest eigentlich ...?"

Es ist oft spannend und anregend, was andere lesen. Vor allem, wenn es Persönlichkeiten und Leseexpert:innen aus Kirche und Kultur sind. Seit Ende 2024 gibt es in unserer vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift, Der Evangelische Buchberater, die Rubrik “Was liest eigentlich …?” Die Beiträge werden ab jetzt auch an dieser Stelle gesammelt. Den Anfang macht:

Daniel Kaiser

Daniel Kaiser ist einer Hosts des beliebten NDR Bücherpodcast eat.Read.sleep und Fans vor allem als der “Metaphernkönig” bekannt. Mit seinen Predigten und seiner Querflöte bereichert er darüber hinaus immer wieder Gottesdienste, überwiegend im norddeutschen Raum. Für uns hat er einen Roman, ein Sachbuch und eine Graphic Novel ausgewählt.

Markus Thielemann, „Von Norden rollt ein Donner“, Beck, München 2024

Karge Landschaft. Wortkarge Menschen. Schafe. Und die Angst vorm Wolf. Dieser Roman fängt die Stimmung in der Lüneburger Heide atmosphärisch dicht ein. Der 19jährige Schäfer Jannes hat plötzlich Stephen-King-artige Visionen, die ihn in die dunkle Geschichte der Gegend führen - jenseits aller Hermann-Löns-Romantik. In diesem Buch knackt und raschelt es, und immer wieder erschüttern Detonationen der ansässigen Bundeswehr die Stille. Ein wunderbarer Anti-Heimat mit Grusel-Effekt. 

Oliver Fischer „Man kann die Liebe nicht stärker erleben” : Thomas Mann und Paul Ehrenberg, Rowohlt, Hamburg 2024

Thomas Mann liebte auch Männer. Schon klar. Dieses Buch wird konkreter und erzählt die Geschichte der einzigen engeren Beziehung des Schriftstellers zu einem Mann, dem Landschaftsmaler Paul Ehrenberg - wie sie sich in München kennenlernen und näherkommen, wie Thomas seinem Paul schwülstige Liebesgedichte schreibt und wie Mann seine große Liebe in seinen Büchern verewigt. Oliver Fischer schildert die Geschichte der beiden vor dem Hintergrund des homophoben gesellschaftlichen Klimas. Ich finde: Man liest Thomas Mann danach anders.

Maren Amini, „Ahmadjan und der Wiedehopf“, Carlsen, Hamburg 2024

Ein Leben zwischen Afghanistan und Deutschland: In dieser Graphic Novel erzählt Maren Amini die Geschichte ihres Vaters, der in der afghanischen Provinz aufwächst ist und, nachdem er dort mit westlichen Hippies in Kontakt kommt, sich entscheidet, nach Deutschland auszuwandern. Er lebt im Hamburg der 70er Jahre. Amini zeichnet ihren Vater als witzige Comicfigur mit Wuschelkopf und Knollennase und verbindet die Geschichte ihres Vaters mit der alten, mystischen Dichtung „Konferenz der Vögel“. Die poetische Kraft dieser Comic-Geschichte ist hinreißend. Bei dieser Reise wachsen einem auch als Leser Flügel. Zauberhaft!

Margot Käßmann

Margot Käßmann ist zweifelsohne eine der bekanntesten kirchlichen Persönlichkeiten Deutschlands. Nach ihrer Tätigkeit als Pfarrerin und später Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages war sie von 1999 bis 2010 Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Seit Juli 2018 ist Margot Käßmann im Ruhestand und widmet sich vor allem ihren sieben Enkelkindern sowie dem Schreiben von Büchern.

Daniel Speck, Jaffa Road, 2021

Den Roman hatte mir meine älteste Tochter empfohlen. Es ist die fiktive Biografie eines Mannes, der vom deutschen Wehrmachtssoldaten zum jüdischen Einwanderer in Palästina mutiert und sich schließlich in eine Palästinenserin verliebt. Mitreißend erzählt wird die Leidenschaft sowohl der Juden wie ebenso der Palästinenser für ihr Land spürbar, ebenso wie das Leid und das Unrecht, die für alle Seiten in diesem Konflikt entstehen – und auch die Aussichtslosigkeit, Lösungen zu finden. Für alle, die derzeit so hilflos sehen, was im Nahen Osten geschieht, ein Buch, das Wehmut, Trauer und Empathie mit sich bringt.

Hermann Theisen/Helmut Donat (Hg.), Bedrohter Diskurs. Deutsche Stimmen zum Ukrainekrieg, Bremen 2024

Helmut Donat hatte mich gebeten, mich mit einem eigenen Beitrag an diesem Band zu beteiligen. In fast sechzig Artikeln wird der Krieg aus unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet, seine Vorgeschichte, und die Frage, ob Waffenlieferungen tatsächlich „alternativlos“ sind. Die Lektüre ist für alle eine Horizonterweiterung und Anregung, die einen wirklich breiten Diskurs führen wollen.

 

Michael Haspel, „Wer nicht liebt, steht vor dem Nichts!“. Martin Luther Kings Spiritualität als Grundlage seines Kampfes gegen Rassismus und Ungerechtigkeit, Gütersloh 2024

Das Buch wurde mir von einer Zeitung mit der Bitte um Rezension zugeschickt. Ich wusste bereits viel über Martin Luther King, aber diese Biografie bietet spannende neue Einsichten in sein Leben, in die Erfolge der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und die spirituellen Grundlagen seines Kampfes gegen Rassismus und Ungerechtigkeit. Empfehlen kann ich es allen, die ein Interesse daran haben, diese Auseinandersetzung im Kontext unserer Zeit zu führen.